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Wie bestellt steht morgens um 10.20 Uhr das Taxi vor dem Haus. Noch eine herzliche Verabschiedung von unseren beiden Gastgebern Herb und Susan, dann geht es wieder in Richtung Guadalajara. Unser Taxifahrer – ein ehemaliger Pilot – erzählt uns von seinem Leben in der ganzen Welt. Die Frage nach dem besten Land beantwortet er überzeugend mit: „Mexiko!“
Der neue Busbahnhof am Stadtrand ist riesig. Fahrkarten haben wir uns schon in einer Reiseagentur in Ajijic besorgt, so dass wir hier nicht anstehen müssen. Nach dem wir die Tickets vorgezeigt haben, dürfen wir in den mit Sesseln und großen Bildschirmen ausgestatteten Wartebereich. Eine Viertelstunde vor Abfahrt wird es vor dem Bussteig lebhaft. Tickets vorzeigen, dann drückt eine nette Dame jedem eine Flasche Wasser und eine kleine Schachtel mit einem Dognut in die Hand. Die Koffer bekommen einen Anhänger und werden im Gepäckfach verstaut. Vor dem Einstieg schaut ein Mann in Uniform oberflächlich ins Handgepäck, erst dann dürfen wir den Bus betreten. Hier gibt es pro Reihe nur drei weich gepolsterte Sitze, schön breit und mit viel Abstand zum Vordermann. Da kann man es sich richtig gemütlich machen. Wenn man die Lehnen nach hinten verstellt und die Fußstützen ausfährt, reist man wie in einem Liegestuhl. Dazu gibt es Bildschirme an jedem Platz mit Filmen und Musik zur Auswahl, Kopfhörer stecken in den Taschen der Vordersitze. Für Kinder sind auch ein paar Zeichentrick- bzw. Animationsfilme vorhanden.
Pünktlich auf die Minute fährt der Bus ab. Zuerst geht es durch die Randbezirke der Großstadt, dann nur noch durch grüne Landschaft. Maisfelder sind links und rechts der Autobahn zu sehen und so viele Rizinussträucher, dass man mit den Samen ganz Mexiko vergiften könnte.
Vulkankegel stehen dicht an dicht und mehrere große Seen breiten sich in der Landschaft aus. Der Bus fährt so sanft, als schwebe er über die Autobahn. Als wir diese verlassen, stehen mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten am Straßenrand. Für unseren Bus interessieren sie sich nicht, und wir erreichen unser Ziel Morelia nach angenehmer 3,5 stündiger Fahrt ohne Zwischenstopp. Auch hier verblüfft uns die Größe des Busbahnhofes. Praktisch, direkt in der Abfertigungshalle ist ein Taxischalter. Man nennt das Hotel, bezahlt den genannten fairen Preis und wird von einem der offiziellen Taxen ans Ziel gebracht.
Unser Hotel liegt in der historischen Altstadt, die 1991 zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt wurde. Die auf 1920 Meter Höhe gelegene Hauptstadt des Bundeslandes Michoacán hat 600.000 Einwohner und viele gut erhaltene Gebäude aus der Kolonialzeit. Das macht sie zur meistbesuchten Stadt Mexikos im Landesinneren. Gleich nach der Ankunft machen wir einen ersten Erkundungsgang und stehen begeistert vor der Kathedrale aus rosa Basalt im Barockstil. Ein Blick ins Innere zeigt, dass gerade Messe ist. Später erkennen wir das schon von außen. Stehen Bettler vor den Portalen, ist Messe. Wir verschieben die Besichtigung und laufen durch ein paar Straßen der imposanten Altstadt.
Die prächtigen Gebäude gegenüber der Kathedrale haben großzügige Arkaden, unter denen die vielen Restaurants Tische und Stühle dicht an dicht aufgestellt haben. Es ist wirklich ein schöner Platz zum essen. Es sind so viele Menschen unterwegs, da versuchen etliche Händler ihre Waren zu verkaufen: Schmuck, Rosen und auch viele traditionelle Handarbeiten. Ein „Nein danke“ genügt, und sie gehen weiter zum nächsten Tisch. Ein Mann verkauft Honig in großen Gläsern. Als wir abwinken bietet er uns stattdessen eine Gitarre an; auch eine interessante Geschäftsidee.
Ausgestattet mit einem Plan der Sehenswürdigkeiten machen wir uns am nächsten Morgen auf den Weg zum Mercado de Dulces (Süßwarenmarkt). Unterwegs frühstücken wir in einem der vielen netten Lokale. Nach so vielen Monaten mit Toastbrot freuen wir uns jeden Morgen über leckeres frisch gebackenes Brot oder Brötchen.
Der Markt ist in einem Teil des Clavijero Palastes untergebracht, dem ehemaligen Jesuitenkolleg. Hier werden die traditionellen handgefertigten Süßwaren angeboten: Kandierte Früchte, Waffeln, Karamellen, Kokosberge, Konfekt aus Fruchtmus, süß-scharfe Bonbons, Schokolade und vieles mehr. Aber nicht nur Süßwaren gibt es hier, auch Kunsthandwerk ist stark vertreten, darunter viele bestickte Blusen, Kleider und Schals, Stoffpuppen, Bilder, Holzarbeiten und normale Handelswaren. Über all dem liegt der süße Geruch der Naschereien.
Durch die Haupteinkaufsstraße schieben sich die Menschen. Auch hier sind viele Bettler unterwegs. Merkwürdigerweise sehen wir auch zwei Männer in sandfarbenen Uniformen, die ihre Schirmmütze den vorbeilaufenden Menschen entgegenstrecken. Auf der Suche nach Glückwunschkarten gehen wir in eine Papellerie (Papiergeschäft). Hier drängt sich eine dichte Menschentraube vor der Kasse. In drei Woche sind die Ferien zu Ende, und die Eltern nutzen das Wochenende um gemeinsam mit ihren Kindern die zwei DIN A 4 Seiten lange Liste abzuarbeiten. Es gibt alles – nur keine Glückwunschkarten.
Klaus muss ein paar Dinge wegen des neuen Handys klären. Ich schaue mich währenddessen in der Haushaltsabteilung des Kaufhauses um.
Die Waschmaschinen haben alle amerikanischen Standard: Große oben offene Trommeln, die die Wäsche nur hin und her drehen. In 20 bis 40 Minuten sind die rund 20 Kilogramm gewaschen und geschleudert. Auch die Kühlschränke entsprechen den in Amerika verwendeten, sie haben Eiswürfelbereiter und Wasserspender. Kochherde werden grundsätzlich mit Gas betrieben. Die meisten haben sechs Kochstellen und einen entsprechend großen Backofen. Schon ab 180 € wird man Besitzer eines solchen Herdes.
Wir laufen zum Aquädukt, einem Bauwerk im Barockstil mit 253 Bögen auf 1,8 Kilometer Länge. 1728 wurde auf Initiative des Bischofs Antonio de San Miguel mit dem Bau begonnen. Ziel war einerseits die Versorgung der Stadt mit Trinkwasser und andererseits die Beschäftigung der indigenen Bevölkerung. Bis 1910 wurde es für die Wasserversorgung genutzt, heute erfreut es gut restauriert Besucher und Einheimische.
Im kleinen Park Villalongín suchen wir uns eine Bank im Schatten, um ein wenig auszuruhen und das Leben und Treiben zu beobachten. Wie bestellt fährt plötzlich eine Stretchlimousine vor und heraus arbeitet sich ein junges Mädchen im langen türkisfarbenen Kleid mit bauschigem Rock. Ihr folgen vier junge Männer in identischen Anzügen. Wir erleben hautnah eine Quinceañera, oder doch zumindest den Fototermin. In vielen Ländern Latein- und Südamerikas wird der 15. Geburtstag eines Mädchens als rauschendes Fest gefeiert. Ab jetzt wird es nicht mehr als Kind, sondern als Frau betrachtet. Gekleidet in ein festliches Ballkleid mit passendem Blumenstrauß, begleitet von Eltern und Geschwistern und den vier Ehrenherren geht es erst in die Kirche, dann zum Fototermin und später zum Feiern in ein Restaurant.
Die Eltern müssen tief in die Tasche greifen, um all den Pomp und Prunk zu bezahlen: Kleidung für alle, Frisör, Schönheitssalon, Fotograf, Leihwagen und dann die anschließende Feier für eine große Anzahl Gäste. Häufig ist die Summe höher als bei einer Hochzeit. Während wir interessiert zuschauen, treffen weitere geschmückte Limousinen mit herausgeputzten Familien ein. Die Kleider glitzern und funkeln im Sonnenlicht, petrol, tintenblau, weinrot, zartrosa und altrosa haben die jungen Damen gewählt. Die kleine Schwester einer Fünfzehnjährigen trägt ein Kleid in derselben Farbe. Die Hauptpersonen bewegen sich mit unterschiedlicher Anmut vor der Kamera, so dass einige Gruppen nach 15 Minuten weiterziehen können. Doch manchmal müssen die Fotografen richtig arbeiten. Da wird ein Arm graziös verbogen, dort der Hals überstreckt, alles um das perfekte Foto zu bekommen. Als wir nach über einer Stunde weitergehen, ist das türkisfarbene Team noch immer bei der Arbeit.
Die Schaufenster sind voll von Kleidern für diesen Anlass. Es gibt sie in allen erdenklichen Farben außer weiß und schwarz. Eine Puppe im nahezu identischen Kleid in derselben Farbe gibt es dazu. Die sitzt dann wahrscheinlich lebenslang auf der Couch und erinnert an diesen einen Tag.
Am Abend ist die Straße vor der Kathedrale für den Autoverkehr gesperrt. Bei den vielen Menschen wäre ein Durchkommen sowieso unmöglich.
Das Bauwerk wird in allen Farben des Regenbogens angestrahlt und um 20.45 Uhr beginnt – wie an jedem Samstagabend – ein 15 minütiges Feuerwerk, begleitet von Musik, einer Erzählstimme und den begeisterten Ah’s und Oh’s der Zuschauer. Es dauert, bis sich danach die Menschenmasse verläuft. Nachdem wir uns zum Straßenrand durchgekämpft haben, schlüpfen in eine Nebenstraße und kommen doch recht schnell zu unserem Hotel.
Auch am Sonntag ist die Straße vor der Kathedrale gesperrt. Heute gehört sie Fußgängern, Skatern, Radfahrern und Hunden. Kinder wuseln herum und die Erwachsenen haben alle Zeit der Welt. Unter den Arkaden wird ausgiebig gefrühstückt, dabei kann man wunderbar die sportlichen Aktivitäten der Menschen auf der Straße beobachten.
Besonders beliebt ist ein Gespann aus 13 Fahrrädern, vorne eins, dahinter sechs Zweiergruppen jeweils mit bequemen Kindersitzen davor. Nach dem Gejohle zu urteilen, sind die Herrschaften nicht ganz nüchtern unterwegs. Eine Gruppe kostümierter junge Menschen zieht plötzlich die Blicke auf sich. Sie werben für eine Veranstaltung am Abend. Erzählt wird die Legende von Morelia.
Gegen Mittag können wir uns endlich die Kathedrale in aller Ruhe von innen anschauen. Sie ist sehr elegant im Stil der Neoklassik gestaltet. Besonders beachtenswert ist eine Christusstatue aus Maispaste.
Auf den Plätzen links und rechts der Kirche sind Clowns und mehrere Tänzer aktiv. Diese tragen Masken, gehen an Stöcken und fangen in ihren Schuhen mit klappernden Holzsohlen plötzlich gemächlich an zu tanzen.
Dann folgen solistische Einlagen in einem solchen Tempo, dass ihnen die Kleider um den Körper fliegen.
Dieser traditionelle Tanz der alten Männer (Danza de los Viejitos) gehört zu Michoacan wie die Gitarre zur Mariachi-Musik. Wir sehen uns diese großartige Vorstellung eine ganze Weile an. Heute ist hinter der Kathedrale auf einem kleinen eingezäunten Platz ein alternativer Markt aufgebaut. Es gibt selbst gemachte Konfitüren, Salsas, Kosmetik, den hier offenbar sehr beliebten Eierlikör, Schuhe, Schmuck und noch vieles mehr. Für 250 Pesos (11,25 €) gibt es hier schöne Schuhe aus geflochtenen Lederstreifen. Wenn wir doch bloß noch Platz in unseren Koffern hätten. Doch nicht nur auf diesem Markt kann man heute einkaufen, fast alle Geschäfte haben geöffnet und dadurch ist ein Leben in der Stadt, dass es eine Freude ist. Auf allen Plätzen sitzen Menschengruppen zusammen. Es ist so eine schöne Atmosphäre, wenn ich da an deutsche Innenstädte an Sonntagen denke … Offenbar sind Frömmigkeit und Sonntagsarbeit doch kein Widerspruch.
In einem der alten jetzt motorisierten Straßenbahnwagen – noch mit den Original-Holzbänken – machen wir eine Stadtrundfahrt. Der Tourleiter erzählt frei und anscheinend sehr humorvoll. Leider hat eine Mutter mit vier Kindern im Alter von eins bis fünf Jahren heute offenbar nichts Besseres vor, und so übertönen die Kleinen mit ihrem Gebrüll mühelos den sicherlich interessanten Vortrag. Von mehreren Seiten ertönt ein: „Pssst,“ das stört aber weder die kleinen Racker noch deren Mutter. Aber irgendwann geht auch diese Rundfahrt zu Ende und die Nerven und Ohren können sich erholen.