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Montagmorgen, wir verlassen Morelia und nehmen den Bus nach Uruapan. Die Fahrt durch das Hochland zeigt uns wieder nur die grüne Seite Mexikos Die gut 100 Kilometer sind in zwei Stunden zurückgelegt, und wir finden uns in einer völlig anderen Stadt wieder. Verwöhnt vom prächtigen Aussehen Morelias sind wir erst mal enttäuscht. Auf den ersten Blick hat Uruapan so gar nichts zu bieten. Bei dem gerade niedergehenden Wolkenbruch sieht man deutlich, dass es keine Regenrinnen gibt. Von den Häusern schießt das Wasser in weiten Fontänen aus Wasserspeiern auf die Straße. Von einem der Häuser ergießt sich eine mächtiger Wasserfall.
Unser Eindruck von Uruapan ändert sich, als wir nach dem Regen einen Rundgang machen und die versteckten schönen Seiten der Stadt entdecken. Den großen Platz vor der Kirche, mit Bäumen, Bänken, Brunnen und Blumenbeeten, der viele Menschen anzieht. Hier ist zu jeder Tageszeit Betrieb. Am ersten Abend landen wir in einem Lokal, das zu den preiswerten gehört, aber die Taccos kommen frisch gebacken auf den Tisch. Ich habe ein merkwürdiges Stück Fleisch auf dem Plastikteller; millimeterdünn und hart wie ein Stück Karton. Später sehen wir dieses „gedörrte“ Fleisch in Handtuchgröße in einer Metzgerei hängen.
Uruapan ist eine der ältesten Städte in Mexiko. Der Name geht auf eine indigene Sprache zurück und bedeutet: Die Bäume tragen immer Früchte. Davon können wir uns auf unserer Fahrt in nach Paracho überzeugen. Ungefähr zwanzig Kilometer fährt der Bus an Plantagen vorbei. Avocado- und Macadamia-Bäume, soweit das Auge reicht. Der Ertrag ist so gewaltig, dass nahezu die ganze USA mit Avocados aus dieser Region beliefert wird.
Nach weiteren 15 Kilometern erreichen wir Paracho, die Gitarrenstadt Mexikos. Schon von weitem fällt das riesige Instrument auf einem Verkehrskreisel am Ortseingang auf. In der Hauptstraße der Stadt liegt ein Geschäft neben dem anderen. In etlichen sind Musikinstrumente zu sehen, aber auch andere aus Holz gefertigte Artikel wie Möbel, Spielzeug und Küchenartikel werden angeboten. Wir sind hauptsächlich wegen der Gitarren hergekommen. Der Instrumentenbau hat eine lange Tradition. Ein Franziskanermönch soll der Legende nach geflüchteten, handwerklich überaus geschickten Purépecha-Indianeren die Herstellung beigebracht haben. Rund 600 Werkstätten gibt es, in denen manuell gefertigt wird.
Bei unserem Rundgang kann man auch in einigen Häusern die Rohformen sehen. Der Instrumentenbau wird hauptsächlich von Männern ausgeübt und geht häufig vom Vater auf den Sohn über. Frauen dürfen so wichtige Tätigkeiten wie schmirgeln und polieren übernehmen, das können sie durch von Kindesbeinen an praktizierte Hausarbeit als dem Effeff.
Hier hängt also der Himmel voller hochwertiger Gitarren und mein musikbegeisterter Mann bekommt glänzende Augen bei dieser Auswahl. Nachdem er einige ausprobiert hat, wird er glücklicher Besitzer einer schwarzen Westerngitarre. Aber ein Guitarron (Bassgitarre) will er auf jeden Fall noch ausprobieren. Bereitwillig drückt ihm eine Ladenbesitzerin ein solches Instrument in die Hand. Groß und dickbauchig ist es und hat einen schönen vollen Klang. Es wird fast ausschließlich in Mariachi-Bands gespielt. Auf dem Marktplatz wird an einer Bühne gezimmert. Am Wochenende beginnt das jährliche Gitarrenfestival, aber da werden wir leider schon weitergereist sein.
Jetzt haben wir also noch eine Gitarre. Die Halbgitarre reist seit Bali schon mit uns durch die Welt, aber die neue ist zu unhandlich, um sie auch noch mit herum zu schleppen. Wir haben die Wahl zwischen der staatlichen Post, die als unzuverlässig gilt, und drei international agierenden Unternehmen. In Uruapan ist eine Niederlassung eines amerikanischen Transportunternehmens. Da erkundigen wir uns nach Versandmöglichkeiten. Auf Schnelligkeit kommt es uns nicht an, aber man hat keine Wahl, hier wird nur per Luftfracht verschickt. Die Auskunft, die wir erhalten macht uns Hoffnung, dass der Versand problemlos vonstatten geht. Als wir unterwegs einem Kartonsammler begegnen, kaufen wir ihm für ein paar Pesos einen ab, ohne zu wissen, ob wir ihn überhaupt brauchen.
Auf dem Rückweg zum Hotel machen wir einen kleinen Abstecher zur ehemaligen Textilfabrik San Pedro. Im historischen Zentrum der Stadt sieht dieses Gebäude aus dem 19. Jahrhundert aus wie eine alte Hacienda. Zweistöckig, aus Backstein und mit Rundbögen auf einem großen schön bewachsenen Grundstück. Nach der Fertigstellung 1894 wurde Wolle, Leinen, Baumwolle und Seide von höchster Qualität produziert. Um 1910 waren 200 Webstühle in Betrieb. Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Rohmaterial und einige Streiks der Belegschaft führten letztendlich dazu, dass der Betrieb eingestellt werden musste. Zeitweilig – Anfang der 70er bis Mitte der 80er Jahre – war hier das städtische Gefängnis untergebracht. Würde mich nicht wundern, wenn einige der damaligen Insassen nur straffällig geworden wären, um einmal in diesem schönen Gebäude „wohnen“ zu können.
Im Untergeschoss des 12.000 m² großen Gebäudes stehen die schweren gut hundert Jahre alten Eisenmaschinen aus England. Kämm- und Spinnmaschinen und Webstühle für die Baumwollverarbeitung, teilweise demontiert und verstaubt. Als das alles noch in Betrieb war, muss hier ein unglaublicher Lärm geherrscht haben.
Im Erdgeschoss ist ein großer leerer Saal, den man heutzutage für Veranstaltungen mieten kann. In einem kleinen Teil ist noch eine Textilfirma untergebracht, die auf traditionelle Weise gefärbte und handgewebte Stoffe in herrlichen Farben anbietet. Hier weiß man, wie das geht, immerhin haben schon die Inkas vor über 7.000 Jahren Gewebe aus Baumwolle hergestellt. Bei schönen Stoffen kann ich einfach nicht widerstehen, und praktisch ist es für die Polsterung der Gitarre obendrein.
Im Hotel stopfen wir das Instrument mit unserer Skiunterwäsche aus, die wir aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr brauchen, und wickeln es in zwei gerade gekaufte Stoffbahnen. Danach passt es gerade so in die Tragetasche. Die dritte Stoffbahn polstert den Hals und dann kommt der Karton drumherum. Beim Transportunternehmen wird später alles nochmal eng mit Folie umwickelt. Die Abfertigung dauert beinahe eine Stunde. Versand nach Deutschland hatte man hier wohl noch nie. Hinter uns stehen etliche Menschen an, aber niemand beschwert sich. Nachdem wir bezahlt haben und im Gegenzug die Papiere ausgehändigt bekommen, fühlen wir uns richtig erleichtert. Hoffentlich kommt die Sendung heil bei uns in Deutschland an. Aber bei den vielen „ACHTUNG, ZERBRECHLICH“-Aufklebern wird sich wohl niemand trauen, dieses Paket unsanft zu behandeln.
Uruapan hat ein Geheimnis, den unterirdischen Fluss Cupatitzio, der einen knappen Kilometer vom großen Platz vehement an die Oberfläche drängt.
Hier in der Stadt gibt es deshalb den Nationalpark Barranca del Cupatitzio. Schon kurz hinter dem Eingang (Eintritt kostet 25 Pesos = 1,125 €) ist man in einer anderen Welt. Riesige Bäume, Sträucher, Stauden, baumgroße Engelstrompeten und über all dem ein ständiges Rauschen. Innerhalb des Parks ist die Luft frisch und ungefähr 5 Grad kälter als außerhalb. Der Cupatitzio drückt hier sein kristallklares Wasser aus dem Boden, durch Felsspalten, lässt es in einem munteren Bach dahineilen, von einem Felsen stürzen und hat die Gestalter des Parks animiert, den Besuchern immer neue Erlebnisse zu bieten. Die verschiedensten Kaskaden und Quellen erfreuen sowohl das Auge als auch das Ohr mit Plätschern, Gurgeln, Sprudeln und Dröhnen.
Auf dem Geländer einer steinernen Brücke steht ein Mann und wartet auf Publikum. Als sich eine für ihn ausreichende Anzahl versammelt hat, klettert er vom Geländer hoch in einen Baum und stürzt sich mit einem Kopfsprung in das brodelnde Wasser. Alle halten den Atem an und starren ins Wasser; eine Minute vergeht, zwei Minuten. Was ist passiert? Auf der anderen Seite der Brücke steht der mutige Springer, trocknet sich ab und lacht. Natürlich fällt das Trinkgeld sehr großzügig aus.
An einem Obststand pult der kleine Sohn des Besitzers geduldig Granatapfelkerne aus der ledrigen Hülle. In kleine Plastikbecher gefüllt werden sie gern gekauft. Wir entscheiden uns für geschälte Mangos und Ananas. Ein ruhiges Plätzchen ist bald gefunden. Während wir unser Obst genießen, beobachten wir einen Kolibri, der aus den Blüten der Engelstrompeten Nektar saugt.
Als wir weiterlaufen hören wir ein surrendes Geräusch, dann saust etwas Buntes vorbei. Im Park kann man ein Stück an einer Zip-Line hängend zurücklegen. Diese Attraktion heißt hier übrigens TIROLESA. Dann geht es über eine Hängebrücke – bei der jedes zweite Brett fehlt – auf eine Plattform in 20 Meter Höhe und über eine weitere Zip-Line zurück auf den Boden. Besonders den Kindern gefällt dieser Nervenkitzel. Die stolzen Eltern filmen das Abenteuer per Handy oder Tablet.
Am großen Platz im Zentrum liegt das Museo Indigena Huatápera (Kulturmuseum verschiedener indigener Gruppen aus der Region).
Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1530 und war einst ein Hospital. Heute kann sich jeder bei freiem Eintritt in den liebevoll restaurierten Räumen umsehen und findet Trachten, Geschirr, Schmuck und Informationen über das frühere Leben der Ureinwohner. Ein Raum ist für wechselnde Ausstellungen reserviert. Holzspielzeug, Keramik und neuzeitliche Textilien, bestickt mit traditionellen Mustern werden gezeigt. Die bestickten Blusen sieht man – auch an jungen Frauen – täglich im Straßenbild.
Am Busbahnhof kaufen wir heute Fahrkarten nach Angahuan. Da das nicht die Endstation ist, wirken wir wohl ein bisschen orientierungslos. Ein Mexikaner fragt, wo wir hinwollen und ich zeige ihm unsere Tickets. „Volcano bumm?“ fragt er und als ich nicke, deutet er auf den richtigen Bus. Der erste Teil der Strecke ist identisch mit der nach Paracho. Als wir abbiegen finden wir uns plötzlich im Nebel wieder. Erst nach einer Weile erkennen wir, dass es kein Nebel ist sondern Qualm. Hier existiert das Köhler-Handwerk noch. Aus den aufgeschichteten Erdhügeln quillt dichter Rauch, und der Geruch lässt keinen Zweifel, um was es sich hier handelt. Heute fahren wir wirklich durch das ländliche Mexiko. An der Haltestelle in Angahuan sprechen uns zwei Frauen auf englisch an. Mutter und Tochter mit elfjährigen Sohn bzw. Enkel, sind Mexikanerinnen und leben in Palm Springs. Sie verbringen hier ihren Urlaub und bieten uns an, mit ihnen gemeinsam im Taxi zum Ausgangspunkt der Vulkanbesichtigung zu fahren. Das nehmen wir gern an. In Angahuan kommen wir uns vor, als hätten wir eine Zeitreise angetreten. Wir sitzen in einem mehrere Jahrzehnte alten Auto und schaukeln über die mit Felsbrocken belegte Straße. Viele Männer sind auf Pferden, die Frauen sind in ihren Trachten zu Fuß unterwegs. Hier im Auto erfahren wir, dass man am besten mit einem Pferd zum Vulkan gelangt. Der Weg ist zwar auch zu Fuß möglich, aber wegen der Höhe recht anstrengend. Nach kurzer Überlegung stimmen wir zu. Noch während wir durch das Dorf fahren, verhandelt unser Fahrer mit einem Mann wegen der benötigten fünf Pferde.
Vor einem Restaurant wird das Auto geparkt und schon stehen die Pferde für uns bereit. Ich bekomme ein isabellfarbenes Tier; das Aufsitzen klappt jedenfalls noch. Unser Fahrer läuft neben der kleinen Gruppe her. Er spricht nur spanisch und seinen indigenen Dialekt. Was für ein Glück, dass wir die Frauen getroffen haben. Der Weg führt steil bergab, mal gibt es Treppenstufen, mal kleine Gräben, die quer über den Weg laufen, und immer wieder gemauerte Durchgänge. Die Tiere kennen ihren Weg so genau, dass man die Zügel nicht einzusetzen braucht . Nach einer dreiviertel Stunde erreichen wir den Sammelplatz. Etliche Pferde sind in einem nach allen Seiten offenen Stall untergestellt. Mein Tier läuft zielstrebig in eine Lücke zwischen zwei Tieren, genau hierhin will es, da kann ich machen was ich will. Jetzt muss ich zwischen den eng stehenden Pferden absitzen und mich durchschlängeln.
Ab hier geht es nur zu Fuß weiter. Einheimische haben viele kleine Stände aufgebaut; vielleicht wollen die Touristen ja essen und trinken oder etwas kaufen.
Und dann stehen wir vor der Lava des Paricutin. Am 20. Februar 1943 war der Farmer Dionisio Pulido auf seinem Maisfeld, als er plötzlich einen Erdspalt bemerkte. Er versuchte, ihn zuzuschaufeln, als die Erde anfing zu beben und aus dem Spalt Qualm aufstieg. Dionisio tat das einzig Richtige, er rannte so schnell er konnte davon. Gute Entscheidung, denn da begann ein Vulkan zu wachsen. Nach einem Jahr war er bereits 410 Meter (2.800 Meter über Meereshöhe) hoch. Zum Glück floss die Lava langsam, so dass sich alle Einwohner des Dorfes Paricutin mit ihren Besitztümern in Sicherheit bringen konnten. Bis 1952 stieß der Vulkan immer weiter Lava aus und begrub 20 km² Land und darunter das gesamte Dorf Paricutin unter sich. Lediglich einige Wände und der Turm der großen Kirche ist zwischen den Lavabrocken heute noch zu sehen. Der Vulkan bekam den Namen des ausgelöschten Dorfes. Während wir über das Geröll klettern, um zum früheren Altarraum zu gelangen, fängt es plötzlich an zu regnen und zu hageln. Der elfjährige Hector aus Palm Springs ist entzückt. Noch nie in seinem Leben hat er Regen, geschweige denn Hagel erlebt. Fasziniert hebt er die erbsengroßen Eiskörner auf und lässt sie in seiner Hand schmelzen. Nach einer halben Stunde beschließen wir, trotz des Gewitters zurückzulaufen. Wir haben die Regenjacken über die Rucksäcke gezogen, aber Schuhe und Hosen sind patschnass. Noch schnell einen heißen mit Zimt und Kardamom gewürzten Kaffee Olla trinken und dann schlängeln wir uns hinter unserem Begleiter durch die Verkaufsstände, wo der Boden einigermaßen trocken geblieben ist, zurück zum Stall. Kaum sitzen wir wieder auf den Pferden, hört es auf zu regnen. Mit noch immer nassen Hosen und Schuhen kommen wir nach zweieinhalb Stunden im Hotel an. Die heiße Dusche ist eine Wohltat und verhindert hoffentlich eine Erkältung.