Amazonas 1- von Tabatinga nach Manaus (Brasilien)

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Obwohl Leticia (Kolumbien) und Tabatinga (Brasilien) zusammen eine 100.000 Einwohner starke Stadt bilden, muss man im brasilianischen Teil die Uhr eine Stunde vorstellen. Pünktlich um 9 Uhr sollen wir am Hafen sein, also müssen wir um 7.30 in Leticia abfahren. Wir haben es immer noch nicht gelernt, Zeitangaben sind nur die Möglichkeitsform. Natürlich sind wir die ersten Passagiere und es vergeht fast eine Stunde, bis nach und nach weitere Mitreisende eintreffen.

Unser Gepäck stellen wir nach Anweisung akkurat auf einen der gelben Streifen im gekennzeichneten Wartebereich für Alte (über 60), Behinderte, Schwangere und Mütter mit Kleinkindern (dieses Schild wird uns noch oft begegnen, an Supermarktkassen, an Busbahnhöfen – die Gnade der frühen Geburt). Am Schalter bekommen wir ein Armband umgeklebt, an der Farbe ist für die Schiffsbesatzung erkennbar, wie weit wir fahren. Später kommt die Erfassung im Polizeibüro, dann dürfen wir mit der ersten Gruppe gegen 11 Uhr zum Schiff. Doch davor haben etliche Polizisten Stellung bezogen und kontrollieren jedes Gepäckstück. Wir müssen die Koffer öffnen, die Rucksäcke werden ausgepackt, die Gitarre aus ihrer Hülle geholt, dann erst ist der Weg für uns frei. Gepäckträger stehen bereit, um die Waren ins Schiff zu bringen. Obwohl die Tarife auf einer Tafel stehen, versucht der Träger, von uns das Doppelte zu bekommen. Die Zahlmeisterin des Schiffes entscheidet: „20 Reales sind genug.“

Wir haben uns für eine Kabine entschieden, uns beiden tut schon nach zwei Stunden in der Hängematte das Kreuz weh, außerdem haben wir gern eine eigene Toilette. Die Stewardess begleitet uns zu unserer „Suite“ und stellt uns unsere persönliche Betreuerin vor. Den Luxus hatten wir nicht erwartet, erst kommen wir in einen Vorraum, in dem wir unser Gepäck aufbewahren können, ein Kühlschrank steht im Raum. Die Kabine hat ein bequemes Doppelbett, eine Klimaanlage, umlaufende Regale mit genügend Steckdosen. Rechts ist das Duschbad und geradeaus geht es auf unseren eigenen Balkon mit Tisch und Stühlen.

Während wir von dort aus beobachten, wie weitere Passagiere an Bord gehen und Waren verladen werden, bekommen wir bereits ein gehaltvolles Mittagessen serviert. Halb zwei legt das Schiff unter lauten Signaltönen ab, 1,5 Stunden nach der geplanten Abfahrtszeit. Für die Manöver steht ein kleines, stark motorisiertes Boot zur Verfügung, das das Schiff in die passende Richtung schiebt und drückt, wird es nicht gebraucht, wird es an der Schiffswand hochgezogen. Wir nennen den Winzling „Helferlein“.

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Im Unter- und Zwischendeck befestigen die Passagiere, die sich für die einfache Überfahrt entschieden haben, ihre Hängematten an den massiven Stahlrohren. Für sie gibt es große Dusch- und Waschräume und Toiletten. Überwiegend sind Einheimische unterwegs, Touristen bilden eine kleine Minderheit.

Unser Schiff fährt auf dem Rio Solimões – so heißt der Amazonas von hier bis Manaus-, der die Farbe von Tee mit Milch hat, stromabwärts mit 20 bis 23 Stundenkilometern. Wir befinden uns nicht auf einem Vergnügungsschiff (obwohl es für uns sehr vergnüglich ist), die Wasserstraße ist die einzige Verbindung zwischen den kleinen und großen Urwalddörfern und -städten.



An jedem Haltepunkt werden Waren verladen und steigen Menschen aus und ein. Das passiert auch um Mitternacht oder 4 Uhr morgens. Und jedesmal geht es laut zu, das Schiffshorn tutet, die Gangway rasselt, laute Kommandos werden gerufen, für uns eine spannende Unterhaltung. Wir stürzen immer auf unseren Balkon und sehen dem Gewusel zu. Manches Mal düst auch nur das Helferlein los, um ein oder zwei Passagiere ans Ufer zu bringen oder dort abzuholen.

Die Landschaft gleitet an uns vorüber und wir schauen uns an, wie die Menschen an diesem größten Flusssystem der Erde leben. Sehen die auf Stelzen oder Schwimmkörpern gebauten Häuser, beobachten wie kleine Boote hin- und herflitzen, blicken auf Kinder, die am Ufer spielen und ab und zu auf weidende Rinder. Dann wieder kilometerweit nichts als Urwald. Jeden Abend und jeden Morgen überqueren Papageien den Fluss. Sie sind wirklich die geschwätzigsten Vögel im Tierreich, sie können anscheinend keinen Meter fliegen, ohne sich zu unterhalten. Selbst wenn nur ein Pärchen das Schiff überquert, hört man sie laut plappern. Nach und nach gehen am Ufer die Lichter an. Es gibt in den meisten Orten Generatoren, denn ohne Strom funktionieren die riesigen Satellitenschüsseln neben vielen Häusern nicht.

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Die Zahlmeisterin schließt uns den Salon auf, ein großer Raum auf dem Oberdeck vorne im Schiff mit einem umlaufenden Balkon. Als wir das nächste Mal hineingehen wollen, ist er abgeschlossen. Sofort kommt die Dame und schließt wieder für uns auf. In unserer Abwesenheit war eine Mutter mit zwei Kindern aus der „dritten“ Klasse hier hereingekommen, erklärt sie uns. Die Kinder hopsten mit Schuhen auf den Polstermöbeln herum und rissen alle Schubladen auf. Das war bestimmt ein Riesenspaß für die Beiden.

Das Essen schmeckt, zwar gibt es kaum Gemüse, aber das Fleisch ist immer gut gewürzt, die Beilagen (Reis und Nudeln) dagegen salzlos. Am Freitag Morgen werden zwei große Fische aufs Schiff gebracht, mittags liegen Stücke davon zart und saftig ohne eine einzige Gräte auf unseren Tellern. So gut hat mir ein Süßwasserfisch noch nie geschmeckt.

Der Blick auf den Sternenhimmel ist in diesem dünn besiedelten Teil der Erde unglaublich schön, und wir sitzen so lange draußen, bis uns fast die Augen zufallen. Das Schiff fährt Tag und Nacht, in der Dunkelheit wird ein Suchscheinwerfer eingeschaltet.

Drei Tage und Nächte sind wir unterwegs, bevor wir nach Manaus kommen. Die Stadt liegt am Rio Negro, kurz vorher überfahren wir eine Stelle, wo er mit dem Rio Solimões zusammenfließt, ab hier heißt er dann Amazonas. Die Farben der beiden Gewässer – hier wie starker Kaffee, dort wie Tee mit Milch, verlaufen 11 Kilometer wie dem Lineal gezogen nebeneinander, bevor sie sich vermischen.

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Wir gleiten am langgezogenen Industriehafen mit Treibstofflagern vorbei, als vor uns einer der rosa Flussdelfine auftaucht. Es ist ein Jungtier, der Rücken noch grau, die Flosse bereits rosa. Eine Stunde später haben wir den Hafen erreicht und legen an.

Ein unglaubliches Gewimmel setzt ein, jeder kann an Bord des Schiffes kommen, sofern er es schafft, sich an den aussteigenden Passagieren vorbei zu quetschen. Unsere Stewardess will sich um einen Gepäckträger für uns kümmern, wir sollen nicht auf einen Abzocker hereinfallen.

Während ich noch mit Packen beschäftigt bin, verlässt Klaus mit irgendeinem Mann das Schiff, um Karten für die Weiterfahrt und eine SIM-Card zu besorgen. Eine Stunde später – alle Passagiere sind von Bord gegangen – beginne ich mich, zu sorgen. Nach einer weiteren halben Stunde hat sich mein Magen in einen Stein verwandelt und noch eine viertel Stunde später bin ich so außer mir, dass eine Horrorvision die andere ablöst: Im Urwald ausgesetzt, nachdem er unser Konto leeren musste, k.o. geschlagen und ausgeraubt, zu einem Paket verschnürt und in den Rio Negro geworfen (ich lese wohl zu viele Krimis). Als zwei Frauen der Besatzung kommen und das Wort „Esposo“ (= Ehemann) sagen, breche ich in Tränen aus. Sie umarmen mich, sprechen tröstend auf mich ein, holen mir was zu trinken und dann drückt mir die eine ihr Handy ans Ohr; am anderen Ende ist Klaus, er ist mit ihrem Mann unterwegs.  Ich lache und weine zugleich und bin unendlich erleichtert, dass alles in Ordnung ist. Als er endlich zurückkommt, gibt Klaus mir stolz das Ticket für unsere Weiterfahrt auf dem Amazonas. Der große unserem Schiff gegenüberliegende eiserne Katamaran hat ihm nicht gefallen, wir fahren mit einem kleineren Schiff. Bevor wir unser Schiff verlassen, müssen wir unbedingt noch mit der Mannschaft essen. Als Spezialität gibt es ein dunkel-lila Mus von Acai-Beeren, das sollen wir unbedingt probieren, erstens gibt es Kraft und ist natürlich noch potenzsteigernd. In Deutschland gehört es zum sogenannten Super-Food. Anschließend werden wir sogar noch zu unserer Ferienwohnung gefahren. Wir sollen uns in Brasilien willkommen fühlen, ist die Antwort auf unsere Frage nach dem Trinkgeld.

Auf den ersten Blick sieht das Haus nicht gerade einladend aus, im Flur liegen Zementsäcke, stehen Backsteine und der Fahrstuhl sieht aus, als wäre er mindestens 50 Jahre alt. Aber die Wohnung in der 7. Etage ist geschmackvoll eingerichtet und komfortabel. Wir wohnen direkt in der Altstadt, ein paar hundert Meter vom eindrucksvollen Opernhaus entfernt. Manaus, das ist eine merkwürdige Mischung aus alter Pracht, modernen Gebäuden, Verfall und Zweckmäßigkeit. Bis zur Weiterfahrt auf dem nächsten Schiff haben wir vier Tage Zeit, um diese Stadt kennenzulernen. Erst am nächsten Tag sehen wir, dass gestern eine Vorstellung mit Wiener Künstlern in der Oper war, die haben wir leider verpasst.

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Gegenüber von unserer Wohnung ist im schönsten Gebäude der Straße eine Filiale von C&A. Hier hat das Geschäft ein ganz anderes Image. Billige Kleidung kauft man an den Ständen in den umliegenden Straßen. Besonders amüsiert mich stützende Unterwäsche, die Aussparungen für die Pobacken hat. Brasilianerinnen lieben es gesäßbetont. Kein Slip, kein Bikinihöschen oder Badeanzug, der die kugelige Rückseite nicht un- oder halbbedeckt zur Schau stellt.

Die Markthalle am Flussufer ist durch ein paar Pavillons in Eisenkonstruktion ergänzt, entworfen von Gustave Eiffel. Alles aus der Zeit, als Manaus durch den Export von Kautschuk zu unglaublichem Reichtum gelangte. Diese Zeiten liegen über hundert Jahre zurück und die aus dieser Zeit stammenden Gebäude rotten mehrheitlich vor sich hin. Kaputte Bürgersteige mit Abwassergräben davor, aus denen es bei diesen Temperaturen erbärmlich riecht, bis der nächste Tropenregen den größten Dreck hinwegschwemmt.

Sonntag, da tut man es den vielen Einheimischen gleich und fährt in das modernste Einkaufszentrum der Stadt. Gebaut um ein Reststück Urwald, das man durch die Glaswände betrachten kann. Schöne Geschäfte, viele bei uns unbekannte Marken, die sehr farbenfrohe Kleidung anbieten. Eine Weile stehen wir gemeinsam mit stolzen Frauchen und Herrchen vor einem Hunde-Schönheitssalon und schauen zu, wie aus begossenen Pudeln duftende, plüschige Schönheiten werden.

In der Ebene mit den Restaurants landen wir am Abend in einer Bierstube, hier drängen sich die Menschen, es wird das Endspiel des Südamerika-Cup übertragen. Als Brasilien das Spiel gewinnt, ist der Jubel unbeschreiblich.

In den nächsten Tagen laufen wir in den Regenpausen durch die Stadt, am Mittwoch geht unsere Reise auf dem Amazonas weiter.

Übrigens: Unser Paket aus Costa Rica ist vor ein paar Wochen heil und vollständig zuhause angekommen.

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