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Der Flughafen in Santa Marta hat die schönste Lage, die man sich vorstellen kann. Das Meer ist gerade mal 10 Meter entfernt. Während wir vor den bodentiefen Glasfenstern im Restaurantbereich sitzen, fliegen zwei Pelikangeschwader ganz dicht vorbei.
Der Direktflug ist teurer, als der mit Zwischenlandung in Bogota, also landen wir zwischen. Wir wundern uns, in beiden Maschinen sitzen wir in der letzten Reihe – ohne Fenster. Als wir um 18.30 Uhr in Medellin landen ist es bereits dunkel. Busse stehen bereit, um die Reisenden in die 30 Kilometer entfernte und 600 Meter tiefer liegende Stadt zu bringen. Eine Stunde dauert die Fahrt über die kurvenreiche Strecke. Der Tunnel mit anschließender Schnellstraße, der die Fahrzeit auf 20 Minuten verkürzen soll, wird erst im Juli eröffnet. Da haben wir ja richtig Glück, die immer neuen Ausblicke auf die hell erleuchtete Stadt unter uns sind unglaublich schön.
Während unserer Reise haben wir viele der gelben rautenförmigen Warnschilder mit Tiersilhouetten gesehen. In Kolumbien waren das bisher Ameisenbären, Eidechsen und Schildkröten hier kommt ein Jaguar hinzu. Aber leider zeigt sich keiner.
Medellin, zweitgrößte Stadt Kolumbiens, liegt in einem Tal der Anden auf gut 1500 Metern Höhe. Die mittlerweile 2,5 Millionen Einwohner brauchen Platz, und so wächst die Stadt in die Breite, zu beiden Längsseiten die Berghänge hinauf. Unser Hotel liegt im beliebten Viertel Poblado am Rande der Zona Rosa. Nein, das ist nichts unanständiges, die Zona Rosa ist das Ausgehviertel mit unzähligen Bars, Restaurants und Musikkneipen. Zu meinem Leidwesen geht es hier aber ständig bergauf und bergab, ganz schön anstrengend.
Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Taxi zu einem Einkaufszentrum und können die Stadt nun auch bei Tageslicht sehen. Medellin ist besonders in den Randbezirken unglaublich grün, es sieht aus, als würde jeweils nur soviel von dem dichten Wald gerodet, wie für die Grundfläche des neuen Hauses nötig ist. Terrassen werden einfach um Bäume herum gebaut. Die Häuser sind eher hoch als breit, und fast jedes ist außen ganz oder teilweise aus roten Ziegelsteinen. Für uns ein ungewohnter Anblick in so einer großen Stadt.
Es gibt Probleme mit der SIM-Karte fürs Handy. Man muss sich in einem offiziellen Büro der Telefongesellschaft registrieren lassen, um die Karte online aufladen zu können. Das Service-Center des Anbieters Claro ist perfekt organisiert. Am Eingang erklärt man der netten Empfangsdame um was es geht, wird in eine Liste eingetragen und bekommt eine Nummer. Auf großen Bildschirmen kann man verfolgen, wann man an der Reihe ist und zu welchem der 35 Schalter man gehen soll. Nach einer halben Stunde ist das erledigt und wir können uns schöneren Dingen zuwenden. Kultur steht auf unserem Programm.
Auf der Plazoleta de las Esculturas stehen 23 Bronzeskulpturen des kolumbianischen Künstlers Fernando Botero. 1932 wurde er in dieser Stadt geboren, und Medellin bietet seinen Werken einen würdigen Rahmen. Seine Figuren haben eines gemeinsam: sie sind füllig, sehr füllig. Auf mich macht es den Eindruck, als ob er bei der Erschaffung ständig geschmunzelt hat. Aber damit nicht genug, im Museo de Antioquia – einem großen Gebäude im Art Deco Stil – sind seine Gemälde und die vieler weiterer Künstler ausgestellt.
Botero malt Stilleben, Tiere und besonders häufig Menschen. Familien, Prostituierte, bekannte Figuren der älteren und neueren Geschichte. Pablo Escobar – den Drogenbaron – zeigt er, wie er auf den Dächern der Stadt erschossen wird. Seine Abneigung gegen den Stierkampf ist in seinen Werken unschwer zu erkennen. Wir laufen Stunden lang durch die großzügigen Ausstellungsräume und setzen unseren Besichtigungsdrang nach einer Pause im Museumscafé im Palacio de la Cultura gegenüber fort.
Dieses auffällige Gebäude im flämisch gotischen Stil wurde 1925 nach dem Entwurf eines belgischen Architekten begonnen und ist Nationaldenkmal. Im Inneren gibt es wechselnde Ausstellungen, der Eintritt ist frei. Wir betrachten Bilder des jungen Künstlers Luis Pala, der gerade im Raum gegenüber ein Fernsehinterview gibt.
Da wir noch ein paar Kleinigkeiten brauchen, laufen wir weiter bis zur von Läden gesäumten Fußgängerzone. Links und rechts stehen in zweiter Reihe Verkaufsbuden mit allen möglichen Waren. Das auffällige Gebäude, auf das wir zulaufen, heißt Nationalpalast und ist ein Kaufhaus, und zwar ein besonders schönes. Der Architekt ist derselbe, der auch den Kulturpalast entworfen hat. Im Gegensatz zu seiner Schönheit findet man hier keine Luxusboutiquen, in den meisten der über 400 Läden stehen Schuhe zum Verkauf, genauso wie in der Fußgängerzone. Der Bestand dürfte reichen, um alle Bewohner Medellins mit Schuhen zu versorgen.
Rund um die Kirche Ermita de la Veracruz ist jede Menge los. Die Damen des ältesten Gewerbes der Welt warten gelangweilt auf Kundschaft. Bis jemand kommt, können sie dem Verkäufer mit seinem Wundermittel lauschen. Vor ihm liegt ein Haufen bräunlicher Knollen und er erzählt von der unglaublichen Heilkraft, die sich in den unscheinbaren Gebilden verbirgt. Er schneidet eines dieser Gewächse auf. Aus der bernsteinfarbigen gallertartigen Masse in den Knollen wird eine Tinktur hergestellt, die gegen wirklich alles hilft, von Appetitlosigkeit über Fettleibigkeit, Haarausfall, Erektionsstörungen, Fußpilz, Unfruchtbarkeit wird einfach alles, was in einem medizinischen Lexikon zu finden ist, geheilt. Zusätzlich wirkt das Mittel auch noch verjüngend. Die Flaschen finden reißenden Absatz. Nur gegen Dummheit wirkt das Mittel nicht, aber dagegen ist sowieso kein Kraut gewachsen.
Wir kommen zum Parque de la Luz mit seinen über 300 Lichtsäulen. Abends soll er besonders eindrucksvoll aber auch gefährlich sein. Hierher kommen bei Dunkelheit die gestrandeten Existenzen, die vermutlich einst voller Hoffnung in die große Stadt kamen und nun weder Arbeit noch Wohnung haben. Schon am Tage sieht man sie mitten auf den Bürgersteigen oder Grünstreifen der Fahrbahnen liegen, schlafend oder vor sich hin starrend. Selbst zum betteln fehlt ihnen die Energie. Einige durchstöbern jeden Mülleimer und tragen das, was sie verwenden können, davon. Die Kolumbianer sind offensichtlich an den Anblick gewöhnt und schauen gar nicht mehr hin.
Zurück fahren wir mit der Metro, Medellin hat die einzige in Kolumbien. Auch das ist ein Erlebnis. Obwohl alle 4 Minuten ein Zug kommt, sind die Wagen unglaublich voll. Wer aussteigen will, muss Gewalt anwenden, die Masse der Wartenden drängt ohne Rücksicht ins Innere, sobald sich die Türen öffnen. Im Inneren kleben die Menschen aneinander wie Froschlaich. Verlassen einige todesmutig die Bahn, schließt sich die Lücke sofort wieder und bildet einen neuen Klumpen. Die Strecke folgt streckenweise dem Lauf des Rio Medellin, In mehreren Abwasserrohren, die in den Fluss münden, hocken Menschen und waschen dort sich und ihre Kleidung.
Als wir abends im Restaurant sitzen, kommt ein Mann mit dem schon in Cartagena gesehenen Ameisenschild an unseren Tisch. Er dreht das Schild um. Die englische Beschriftung auf der Rückseite lüftet das Geheimnis. Die „fette Hintern Ameisen“ sind geröstet und in kleine Tüten verpackt. Sie werden als Nascherei verkauft. Dass der Genuß die Potenz steigern soll, steigert vermutlich auch den Umsatz. Als ich mich vor Ekel schüttele, zieht er grinsend weiter.
In Medellin gibt es drei Seilbahnlinien, die die Armenviertel an den Berghängen mit der Innenstadt verbinden. Von der Metro Endstation San Javier steigen wir direkt in eine der ständig ankommenden Gondeln. Jede bietet sechs bis acht Personen Platz und dann schweben wir bergauf bis zu einer Kuppe, wieder bergab und erneut bis zur Endstation bergauf, insgesamt 2,7 Kilometer. Dabei können wir die unter uns liegenden Favelas (Armensiedlungen) betrachten. Einige der Wellblechdächer sind bemalt. Auf anderen wird gerade Wäsche getrocknet. Hier wird gekocht, dort gebaut. Die Seilbahn, deren Benutzung im Ticketpreis von 5.100 COP (1,35 €) enthalten ist, bietet der armen Bevölkerung ganz neue Möglichkeiten, eine Beschäftigung zu finden. Vorher hatten sie eine stundenlange Anfahrt in die Innenstadt, heute ist das dank der guten Verbindung in 30 Minuten möglich.
Der Ausblick vom Endpunkt der Seilbahn in La Aurora auf die Stadt ist unglaublich. An den Zwischenhaltestellen soll man besser nicht aussteigen, der Weg zwischen den teilweise elenden Hütten hinunter gilt als gefährlich.
Nachdem wir wieder unten am Bahnhof der Metro angekommen sind, laufen wir in die entgegengesetzte Richtung. Die Comuna 13, einst das gefährlichste Stadtviertel Kolumbiens, ist heute ein Besuchermagnet. Hier rekrutierte Pablo Escobar seine Helfer und Auftragskiller. Für jeden getöteten Polizisten gab es ein Kopfgeld von 1.000 US$. Obwohl die Liste seiner getöteten Feinde und Gegner ellenlang ist, genießt der 1993 auf dem Dach seines Hauses getötete Drogenkönig noch heute eine gewisse Verehrung. Seine guten Taten – Bau von Schulen und Krankenhäusern, finanzielle Unterstützung für die Hinterbliebenen seiner getötete Mitarbeiter – sind bis heute unvergessen.
Die Comuna 13 ist heute ein buntes Viertel mit vielen Wandgemälden. Besonders, seitdem die an den Berg geklebten Hütten und Häuschen über sechs Rolltreppen – die eine Höhe von 28 Stockwerken überwinden – bequem erreicht werden können, lassen sich Touristen gerne durch die verwinkelten Gassen führen. Aber auch hier sollte man abends besser in sein „sicheres“ Gebiet zurückkehren.
Am Sonntag bummeln wir durch Poblado. Ein langgestreckter Park führt durch das Viertel, viele kleine Lokale stehen inmitten des Grüns. Auf den Bürgersteigen der Straßen die wir überqueren bieten Händler selbstgebastelte Schmuck- und Dekorationsgegenstände an. Sonntag ist in Kolumbien Familientag. Großeltern, Eltern und Kinder sind gemeinsam unterwegs, bummeln durch die Einkaufszentren, schlecken Eis, sitzen im Park und essen zusammen im Restaurant.
Am nächsten Tag geht es weiter. Wir fahren mit einem Kleinbus nach Guatapé, 85 Kilometer entfernt. Am Busbahnhof geht es professionell zu. Bevor man zu den Bussteigen kommt, wird Gepäck und Passagier kontrolliert und durchleuchtet. Die Tickets sind nummeriert – wir haben unsere im Internet bestellt und bekommen sie am Schalter ausgedruckt. Unsere Plätze sind allerdings bereits besetzt. Der Fahrer bietet uns den Doppelsitz neben sich an. Auch gut, die Rucksäcke dürfen vorne auf das Armaturenbrett und dann fahren wir los. Als wir die Schranke des Terminals durchfahren, bekreuzigt sich der Fahrer und küsst den am Rückspiegel hängenden Rosenkranz. „Er bittet um eine sichere Fahrt“, denke ich noch, als der Bus 100 Meter weiter auch schon stoppt. Hier stehen ein paar Menschen mit Gepäck – undurchleuchtet natürlich – die zum Schnäppchenpreis mitfahren wollen, einer davon zwischen dem Fahrer und uns. Können sie auch, das Fahrgeld landet in der Hemdentasche unseres Fahrers. Die eigentlich zweistündige Fahrt dehnt sich auf 4,5 Stunden aus. Schuld daran sind die Fahrgäste, die einen Weg von 50 Metern scheuen, um gemeinsam mit den schon dort Wartenden einzusteigen, und natürlich auch der Busfahrer, der die 50 Meter bis zum nächsten Fahrgast fährt, und auch diesem die Tür öffnet. Zum Ende der Fahrt hin stehen mindestens 15 Personen dichtgedrängt im schmalen Gang und die Nähte der Hemdentasche des Fahrers werden durch den Inhalt fast gesprengt. Ich bin mir fast sicher, er hat nicht um Sicherheit sondern um viele zusätzliche Fahrgäste gebeten, die sein mageres Monatsgehalt aufbessern.
In allen Ländern, die wir bisher bereist haben, wird das Gehalt halbmonatlich ausgezahlt, damit die Menschen mit ihrem Verdienst besser über die Runden kommen. Dabei fällt mir der Fensterputzer ein, den eine Freundin während ihres mehrjährigen Aufenthaltes in Rio de Janeiro beschäftigte. Alle sechs Wochen sollte er kommen, um die Fenster zu reinigen. Er kam immer dann, wenn er Geld brauchte, mal nach vier Monaten, mal am übernächsten Tag.
In der Stadt zeigen Jongleure von sechs bis achtzig Jahren mit Bällen, Keulen, Reifen oder allen drei Gegenständen ihr Können vor roten Ampeln. Irgendjemand reicht immer ein Trinkgeld durch die heruntergelassene Scheibe.
Die Fahrt führt durch ein wunderschönes Gebiet, hügelig, grün und mit Blumen, sowohl im Freien wie auch in Gewächshäusern gedeihend. An den Hängen überwuchert die schwarzäugige Susanne alles, was darunter wächst. Kolumbien ist der zweitgrößte Blumenexporteur der Welt, und seine Lage in unterschiedlichen Höhen in der Nähe des Äquators bietet die besten Bedingungen. Am Straßenrand bieten Schreiner eigenwillige Möbel an. Sie sehen aus, wie aus dem kompletten Stamm gearbeitet und Betten, Tische und Kommoden tragen noch einen Teil der Baumrinde. Vielleicht leben Hobbits in der Nähe, in deren Häuser würden die Stücke perfekt passen.
Guatapè ist ein zauberhaftes Städtchen mit bunt gestrichenen Häusern. Eine Besonderheit sind die Sockel der Häuser, die mit plastischen Motiven – Zocales genannt – geschmückt sind. Eigentlich sind wir wegen des 200 Meter hohen Monolithen Piedra del Peñol hergekommen, den man über 659 Stufen erklimmen kann, um von dort einen Ausblick auf den 1970 entstandenen Stausee mit seinen vielen kleinen Inseln und Schluchten zu haben. Ein Virus vermiest mir die Tour. Einen Tag lang kann ich das Zimmer nicht verlassen, danach fühle ich mich zu schwach für den Aufstieg. Doch in unserer Nähe gibt es einen Mirador (Aussichtspunkt), der wenigstens einen schönen Blick auf den Felsen bietet. Als wir dann noch ein Motmot-Pärchen vor die Kamera bekommen, bin ich versöhnt.