Von Belém nach Recife (Brasilien)

Für Weiterfahrt von Belém nehmen wir einen Nachtbus. Anders geht es bei der veranschlagten Fahrzeit von 18 Stunden auch gar nicht. Der Busbahnhof hier ist beinahe wie ein Bahnhof gestaltet, mit mehreren Plattformen und unterschiedlichen Abfahrtstellen. Wir (Alte, Schwangere usw.) dürfen den Weg geradeaus nehmen, quasi über die Schienen. Alle anderen müssen die Treppen runter und an der richtigen Plattform wieder rauf. Dass Höflichkeit und Rücksichtnahme quasi per Gesetz verordnet werden, lässt man sich gern gefallen.

Der Bus ist mit bequemen Sitzen ausgestattet, warme Sachen haben wir auch dabei. Wird schon gut gehen. Kurz bevor wir um 18.30 Uhr starten, beginnt es wie aus Eimern zu gießen, und im Nu stehen etliche Straßen 10 bis 20 Zentimeter unter Wasser. Für die Rinnsteine ist das nur gut, da wird der stinkende Abfall mal so richtig durch- und weggespült. Die meisten Passagiere richten sich gleich zum Schlafen ein, wir lesen noch ein paar Stunden, bevor wir die Lehnen in Schlafposition stellen und uns mit unseren Badetüchern zudecken. Erstaunlicherweise können wir ein paar Stunden schlafen, obwohl die Straße richtig schlecht ist. Lesend und schlafend vergeht die Zeit, bis es gegen 5 Uhr zu dämmern beginnt. Um diese Zeit sind schon Menschen in Dörfern und Städten auf der Straße, sie sitzen mit einer Tasse Kaffee vor Häusern und Hütten. Um sieben Uhr gibt es einen 30-minütigen Halt, an den Waschbecken machen sich die Menschen frisch für die nächste Runde Schlaf. Der Norden Brasiliens ist sichtbar arm, die hier lebenden Menschen werden noch nicht einmal durch schöne Landschaft entschädigt, hier ist alles flach und eintönig.

Die runden Granitfelsen, an denen wir später vorbeifahren, werden schon als aufregende Abwechslung wahrgenommen.

Eigentlich wollten wir auf der über 1200 Kilometer langen Strecke eine Zwischenübernachtung in Araguana oder Teresina einlegen, doch es mangelte an freien Hotelzimmern. Was für ein Glück, die Städte sehen nicht sehr einladend aus. Nach 21 Stunden und 15 Minuten kommen wir in Parnaiba an. Das 4 Kilometer entfernte Hotel gehört einem Schweizer, obwohl er sich sehr gut integriert hat, stellen wir den europäischen Einfluss fest, z. B. wird hier Müll getrennt.

Ein paar Runden im Pool, danach machen wir uns auf den Weg zum Essen. Etliche der im Internet aufgelisteten Lokale existieren nicht mehr, und auf Hamburger oder Pizza haben wir so gar keinen Appetit. Wir landen bei einem Libanesen, dessen Lokal zwar noch nicht geöffnet ist, der uns aber sofort Tisch und Stühle zurechtrückt und etwas zu trinken bringt. Dann hängt er drei schmiedeeiserne Lampen auf und schraubt an der Überdachung Glühbirnen ein. Jeden Abend nach Geschäftsschluss muss er Glühbirnen und Lampen wieder entfernen, sonst werden sie ihm geklaut. Der Besitzer will uns unbedingt mit seinem Auto zurückfahren, den Weg zurück vorbei an der Markthalle hält er für zu gefährlich. Da aber gerade neue Gäste kommen, ist sein Platz am Herd. Wir müssen ihm versprechen, nur den von ihm beschriebenen Weg zu laufen, damit wir sicher ankommen. Das klappt.

Die Vorstellung, bereits am nächsten Tag wieder stundenlang im Bus zu sitzen, ist nicht gerade verlockend, so bleiben wir einen weiteren Tag in Parnaiba und laufen durch die von Touristen links liegengelassene Stadt. Die 150.000 Einwohner zählende Stadt im Bundesstaat Piaui liegt am gleichnamigen Fluss, der von einer hohen Brücke überspannt wird. Links und rechts der Fahrbahn zwei Fußwege, die von einem gerade hüfthohen Geländer aus Beton begrenzt werden. Irgendwann wurde das durch einen Holzaufbau erhöht, von dem nur noch ein paar kurze Bretter übrig sind, ein Betonelement fehlt ganz. Die Bauüberwachung in Deutschland würde nicht nur Pickel, sondern gleich die Beulenpest bei diesem Anblick bekommen. Die Menschen nehmen das mit stoischer Gelassenheit hin, warum sich über etwas aufregen, was sie sowieso nicht ändern können. Zumindest geht man hier aktiv gegen die Klimaerwärmung vor, aus jedem der offenen Geschäfte trifft uns ein eiskalter Luftstrom aus den Klimaanlagen.

Der Park vor der Kirche wurde vor kurzem neu gestaltet und bietet einer Gänseschar ein Zuhause mit Schwimmbad. Vermutlich hat Gänsebraten in Brasilien keine Tradition, sonst müsste der Bestand doch merklich geringer sein. Wir suchen auf dem Rückweg ein Lokal, aber vergebens. Schließlich landen wir wieder in unserem Hotel und bemühen einen Lieferservice.

Der nächste Bus hat in der ersten Klasse zwölf Liegesitze. Das ist eine angenehme Fahrt durch Brasiliens Zuckerkammer nach Fortaleza, die zehn Stunden gehen schnell vorbei. Ungefähr 100 Kilometer vor der Großstadt wird die Straße besser, wir kommen langsam in wohlhabendere Gegenden. Doch der Rezeptionist unseres Hotels in Fortaleza und der Taxifahrer, der uns hierher gefahren hat, halten die Straßen am Abend für nicht sicher. Die Einheimischen trauen der Sicherheit in ihrem Land nicht, das haben wir bisher in jedem Land zu hören bekommen. Das Restaurant gegenüber sei sehr gut, verspricht man uns im Hotel. Unbehelligt legen wir Hin- und Rückweg über die Straße zurück.

Am Samstag sind alle Lokale in Strandnähe besetzt. In den Straßen wabert der Duft nach gegrilltem Fleisch. Der Strand selbst ist beinahe leer, nur wenige Menschen sitzen hier im Sand oder sind im Wasser. Sonnenschirme und Liegen sind nicht im Angebot. In der Hauptgeschäftsstraße überbieten sich die Läden in der Höhe der Rabatte. Jetzt zu Beginn des Winters wollen alle ihre Lager räumen, obwohl man hier sowieso nur Sommerkleidung braucht (ausgenommen in den Bussen).

Als nächsten Ort haben wir uns Canoa Quebrada ausgesucht, wir fahren bequem um 11 Uhr in Fortaleza ab und sind auf guter Straße vier Stunden später am Ziel. Taxen gibt es hier nicht, also ziehen wir unsere Koffer auf holprigem Pflaster hinter uns her. Ganz schön viele Menschen hier, Sambamusik schallt uns entgegen, Menschen tanzen, die pure Lebensfreude.

Viele Wege führen durch die roten Klippen zum langen Strand, der besonders bei Kitesurfern beliebt ist, aber auch für uns Schwimmer ist es ein toller Platz. Zwar dürften nach unserer Meinung weniger Barracas (auf Stelzen gebaute hölzerne Lokale) am Strand stehen, aber Brasilianer essen nun mal gern und lieben diese Dinger, die den Blick auf die Klippen versperren. Ausgerechnet in der Zwischensaison sind wir hier gelandet. Die Kinder haben drei Wochen Ferien und die gut situierten Menschen aus dem kühlen Süden, machen Badeurlaub. Aber vor allem ist Canoa Quebrada ein beliebtes Wochenendziel für Bewohner der umliegenden Städte. In unserer Pousada (Herberge) sind wir dann auch ab Montag die einzigen Gäste. Jeden Abend ist ein Riesenspektakel, wenn ein großer Vogelschwarm kurz vor Sonnenuntergang kommt, um die Schlafbäume aufzusuchen. Aber zuvor fliegen die Vögel großartige Formationen, ein herrliches Schauspiel.

Abends bummeln wir über den „Broadway“. Die Hauptstraße ist links und rechts von Geschäften und Lokalen gesäumt. Musik tönt aus den Bars, in der Mitte haben die fliegenden Händler ihre Stände aufgebaut und bieten ihre teils selbst gefertigten Waren an. Wir haben gleich am ersten Abend ein Restaurant gefunden, das von einem Holländer vorbildlich geführt wird und köstliche Gerichte anbietet. Es gefällt uns so gut, das wir jeden Abend hier essen.

Fünf Uhr aufstehen, unser nächster Bus geht um 7.30 im 15 Kilometer entfernten Aracati ab, und da müssen wir mit einem Kleinbus erstmal hinkommen. Laut rumpeln unsere Koffer über das Kopfsteinpflaster der gerade erwachenden Stadt. Pünktlich um 7 Uhr sind wir am Rodoviária (Busbahnhof) und stellen uns am Schalter an. Eigentlich müsste der jetzt schon geöffnet haben. Eine viertel Stunde später kommt der zuständige Mann in Dienstuniform mit einem kleinen Becher Kaffee langsam angeschlendert. Noch kann er den Schalter nicht öffnen, erst widmet er sich seinem Kaffee, der in Brasilien heiß, schwarz und süß getrunken wird.

Bevor er den Holzdeckel von seinem Schalter entfernt, legt er erst mal in aller Gemütsruhe den kleinen Teppich mit dem Namen der Busgesellschaft hin, und dann – ganz langsam – beginnt er, Tickets zu verkaufen. Für jeden Kunden braucht er 7 Minuten, gut dass der Bus Verspätung hat.

Gute sechs Stunden fahren wir bis Natal, wechseln in einen normalen Bus, der sich asthmatisch keuchend die kleinen Hügel heraufquält und sind weitere zwei Stunden später in Praia da Pipa. Ivana, die junge Besitzerin der kleinen Pousada holt uns am Busbahnhof mit dem Auto ab. Vier Tage verbringen wir jetzt hier in einem kleinen, geschmackvoll eingerichteten Bungalow mit bequemem Bett und schmiegsamen (endlich mal wieder) Kopfkissen.

Pinselohräffchen besuchen täglich den Garten unserer Pousada. Wir sind entzückt von den niedlichen Tieren, die mir sogar aus der Hand fressen. Wahrscheinlich wissen die kleinen Fellbündel auch, dass es hier ein unglaublich gutes Frühstück gibt.

Zwischen uns und dem Ort bzw. Strand liegen ca. 100 Meter rote Matschstraße, die wir ohne Gummistiefel oder ohne die Schuhe zu ruinieren nicht durchqueren können. Deshalb fahren Ivana oder ihr Mann Patrick uns jedes Mal mit dem Auto.

Auch in der Stadt Pipa ist viel los, aber an den drei riesigen und wunderschönen Stränden ist so viel Platz, dass jeder für sich bleiben kann.

Voll ist es nur am Praia da Centro, dem schmalen Strand, der direkt von der Ortsmitte erreicht wird und auf dem bei Ebbe Tische und Stühle so dicht stehen, dass man kaum durchkommt. Die auflaufende Flut macht dem ein Ende, dann muss alles ganz schnell weggeräumt werden. Hohe Klippen begrenzen die anderen Strände, an denen sich Surfer tummeln, den Delfine lieben und an denen man viele Kilometer weit laufen kann. Abends drängen sich die Menschen auf der Hauptstraße und suchen sich zwischen den unzähligen Geschäften mit Bademoden das richtige Lokal. Wir haben an einem Abend einen Zuschauer.

Ein Opossum klettert rasch einen Balken hinauf und beobachtet von oben anscheinend, was die Gäste auf ihren Tellern haben.

Patrick und Ivana fahren uns am Sonntag nach Goianinha, wo wir in den Bus nach Recife einsteigen. Die Endstation liegt weit außerhalb der Großstadt, hätten wir das gewusst, wären wir eine Station vorher ausgestiegen, so müssen wir über 30 Kilometer mit dem Taxi nach Olinda, einer der ältesten Städte des Landes fahren. Juwel der Barockarchitektur, Weltkulturerbe, Bischofssitz, viele Begriffe werden diesem auf einem Hügel gelegenen alten Teil der Stadt mit knapp 400.000 Einwohnern zugeordnet.

In Olinda (der Name bedeutet: oh wie hübsch) findet heute ein Volksfest statt. Die Rhythmen des Maracatu dröhnen durch die Stadt. Wir schieben uns durch die Menschenmenge, schauen den Trommlern eine Weile zu, bewundern die ausgestellte Handwerkskunst, steigen im Observatorium die Wendeltreppe hoch, um den Saturn durch ein Teleskop zu betrachten, und suchen uns etwas abseits eine Lokal.

Im Tageslicht sieht man an allen Ecken und Enden den Renovierungsbedarf. Die feuchte, salzhaltige Luft am Atlantik setzt den Fassaden schon nach kurzer Zeit zu. Dem Charme der Stadt tut das allerdings keinen Abbruch. Während wir in einer Galerie stöbern, verkündet die junge Dame, dass der Künstler gleich persönlich erscheinen werde. Fotografieren sei hier leider nicht gestattet, erwidert sie auf meine Frage.

Der Künstler selbst sieht das anders, er stülpt Klaus und sich einen der Tierköpfe aus Pappmaché über, die er für den Karneval in dieser Stadt herstellt, und fordert mich dann auf, Fotos zu machen.

Unten am Strand dümpeln die Fischerboote, und ein paar Familien sitzen in einem Strandrestaurant. Zum baden und schwimmen gibt es jedenfalls bessere Orte, denn die Küsten in und um Recife werden häufig von Haien besucht. Zwischen 1992 und 2007 wurden 50 Angriffe auf Schwimmer und Surfer gemeldet, 19 endeten für die betroffenen Menschen tödlich.

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Wir besuchen das hochmoderne Einkaufszentrum, um noch ein paar Dinge einzukaufen, darunter eine Reisetasche, um alles gut verstauen zu können. Am 31. 7. fliegen wir von Recife direkt zurück nach Frankfurt. Den letzten Abend verbringen wir in einem Restaurant, das eine Überraschung bereit hält. Wir werden nach dem Eintritt zu einem gläsernen Fahrstuhl geleitet, der auf einer schrägen Ebene ca. 10 Meter den Hang hinab gleitet. Erst hier befindet sich der Speisesaal mit einem grandiosen Blick auf das hell erleuchtete Recife.

Was für ein schöner Abschied von unserer Reise durch Mittel- und einen Teil Südamerikas. Wir empfinden ein wenig Wehmut, aber dieses Mal vor allem große Freude. Uns erwartet das Wiedersehen mit der Familie und den Freunden. Doch im Hintergrund steht das Wissen: Wir können jederzeit wieder aufbrechen.

Vielen Dank an alle Follower und Leser unseres Blogs, ihr habt mich immer wieder motiviert und angespornt, weiter zu schreiben.

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