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Um halb elf sollen wir im Hotel abgeholt werden. Noch eine Viertelstunde, die ich für ein Telefonat mit meiner Mutter nutzen will, aber der Fahrer ist überpünktlich. Er bringt uns zum Treffpunkt vor dem Einkaufszentrum. Der Bus parkt neben einem international bekannten Fastfood-Restaurant vor dem großen Einkaufszentrum. Die Koffer kommen aufs Dach des Busses und wir haben noch eine halbe Stunde Zeit. Eine gute Möglichkeit, unser Elektronik-Equipment zu vervollständigen. Pünktlich kommen wir zurück, nicht so die anderen Fahrgäste. Der Busfahrer drückt ein paar Mal energisch auf die Hupe, bis sie sich bequemen.
Wir haben wirklich schon reizende Backpacker kennengelernt. Heute scheint von dieser Sorte niemand dabei zu sein. Wer zuvor allein eine Zweierbank ergattert hat, ist auch nicht bereit, die gegen einen Einzelplatz zu tauschen. Lieber werden die Füße samt Schuhen auf dem freien Platz ausgestreckt. Klaus und ich quetschen uns getrennt irgendwo dazwischen. Einige haben wohl zu spät mit dem Essen begonnen und kommen nun mit großen fettigen Tüten in den Bus. Es riecht wie in einer Imbissbude. Verschiedene Unterhaltungen werden über mehrere Sitzreihen in einer Lautstärke geführt, dass alle etwas davon haben. Aber: Die paar Stunden kriegen wir auch rum.
Außehalb von Cobán sind Straßenarbeiter dabei, den Müll an den Rändern der Straße aufzusammeln. Es ist wirklich auffällig, bisher ist Guatemala von allen Entwicklungsländern das sauberste.
Schnell sind wir wieder in den Bergen, wo große Flächen weiß oder schwarz verhüllt sind. In Gewächshäusern, die einfach mit Vliesplanen bedeckt sind, gedeihen Gemüse und Zierpflanzen, darunter viele Orchideen. Die Erzeugnisse werden direkt davor an Verkaufsständen angeboten. Nie zuvor gesehene Orchideenarten sind dabei. Die erbsen- bis aprikosengroßen Blüten sind weiß, blassgelb, rosa und lila oder zeigen Farbmischungen.
Über manche Geschäftsidee der Bevölkerung kann man nur staunen. Ein Hähnchengrill in einem leuchtend orange lackierten Tuctuc bringt mich zum schmunzeln. An drei Stangen drehen sich neun Hähnchen. Und nach der Anzahl der anstehenden Personen zu urteilen, müssen sie sehr lecker sein.
Wir kommen an einer Großbaustelle vorbei, stufenweise wird hier ein Berg abgetragen, um Material für den Straßenbau zu bekommen. Diese Strecke ist eine der meistbefahrenen im ganzen Land, führt sie doch in die Landeshauptstadt Guatemala City, die wir eine Stunde später erreichen. Hier zeigt sich ein ganz anderes Bild. Nur ganz wenige Mayafrauen sind hier in Tracht unterwegs. Westliche Kleidung – allem voran Jeans – ist angesagt. Die Millionenstadt auf 1.500 Metern Höhe wirkt chaotisch, laut und auf den ersten Blick wenig anziehend. Unser Bus durchfährt aber nur die Randbezirke, vermutlich sieht es im Inneren anders aus. Die Stadt wurde durch Erdbeben mehrmals zerstört und hat sich in den letzten Jahrzehnten immer schneller ausgebreitet, so dass die Slums zum Teil mitten in der Innenstadt liegen. Der Bus braucht beinahe zwei Stunden, bis er die Stadtgrenze erreicht. Zwar liegen noch die Städte Mixco und Villa Nueva zwischen uns und unserem Ziel, aber die Schnellstraße ermöglicht das Umfahren. Jetzt nur noch bergab und sechseinhalb Stunden nach Abfahrt sind wir endlich in Antigua.
Noch scheint die Sonne und schon der erste Eindruck sagt uns: „Hier sind wir richtig.“ Da sich kein Taxi zeigt, müssen wir die 850 Meter zu unserem Hotel zu Fuß gehen. Eigentlich kein Problem, aber an Klaus Koffer hat sich ein Rad gelöst, nun muss er den Koffer auf den vorhandenen kleinen Rädern über das holperige Kopfsteinpflaster ziehen. Doch auch dieser Weg geht zu Ende und wir können endlich eins von vier Zimmern in einem netten kleinen Hotel am Rande der Altstadt beziehen.
Am nächsten Morgen laufen wir los. Nach der Eroberung durch Spanien wurde Antigua 1543 Hauptstadt. Nach und nach entstanden prächtige Gebäude. Obwohl mehrere schwere Erdbeben die Stadt zerstörten, wurde sie immer wieder aufgebaut. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Stadt alles, was die 50.000 Einwohner brauchten, mehr als 50 Kirchen und Kapellen, Schulen, Krankenhäuser und eine Hochschule. 1773 wurde die ganze Herrlichkeit durch ein Erdbeben komplett zerstört. Die Hauptstadt wurde darauf hin in gut 40 Kilometer Entfernung errichtet: Guatemala City. Doch wollte man Antigua nicht komplett aufgeben und baute erneut auf. Aber das Schicksal schlug 1976 erneut in Form eines schweren Erdbebens zu. Noch heute zeigen Ruinen die Auswirkungen. Die Altstadt ist Weltkulturerbe und man weiß wirklich nicht, wohin man zuerst schauen soll. Weiß getünchte Häuser wechseln sich mit bunt gestrichenen ab. Prächtige Kirchen, herrliche Innenhöfe, selbst die Ruinen liegen malerisch in der Sonne.
Wir durchstreifen die Stadt kreuz und quer. Natürlich ist solch eine Schönheit ein Touristenmagnet, aber die konzentrieren sich meistens auf den Bereich um die Kirche la Merced und den Santa Catalina Bogen.
Hier findet man auch die meisten Geschäfte, auch ein sogenanntes Schokolade-Museum, das aber in erster Linie ein großer Verkaufsraum ist.
Je weiter man in die Randbereiche vordringt, umso weniger Touristen laufen einem über den Weg. Mit einem Becher Frozen Yoghurt mit Früchten setzen wir uns in den Central Park und schauen zu, wie Mayafrauen das Kunststück fertig bringen, das Baby im Tragetuch auf dem Rücken zu haben und gleichzeitig noch weitere Tücher mit ihrem jeweiligen Warenangebot zu schleppen und zu etwas verkaufen.
Natürlich wird auch uns immer wieder etwas angeboten, aber meistens genügt ein einmaliges: „Nein danke.“ Kinder strömen aus der Schule kommend quer über den Platz, Bettler stellen ihre körperlichen Gebrechen zur Schau, dazwischen versuchen Tauben irgendetwas fressbares zu ergattern. Hunde schleichen herum, es ist ein herrlich buntes Leben und Treiben.
Klaus hat Geburtstag und wir essen abends in einem besonders schönen Restaurant. Unter freiem Himmel sind rund um ein mit Rosenblättern bestreutes Wasserbecken lange Lichterketten aufgehängt.
Der Tisch hinter unserem ist offensichtlich für einen romantischen Abend reserviert. Auf dem weißen Tischtuch stehen zwischen Rosenblättern eine Anzahl Kerzen. Ein junger Mann läuft aufgeregt hin und her, bis die sehnsüchtig erwartete junge Dame von ihren Eltern begleitet an seinem Tisch erscheint. Die Eltern verabschieden sich und lassen die jungen Leute allein. Das blutjunge Mädchen ist überwältigt, seine entzückten Laute hören sich an wie das Maunzen einer jungen Katze.
Am nächsten Tag gehen wir zum Cerro de la Cruz, dem Hausberg von Antigua. Treppenstufen führen in weiten Bögen hinauf.
Nach einer halben Stunde hat man von hier aus einen herrlichen Blick über die Stadt und auf den gegenüberliegenden Vulkan Agua, der so ebenmäßig aussieht wie aus dem Bilderbuch. Rechts davon die Zwillingsvulkane Acatenango und Fuego. Mit 3.976 Metern ist der Acatenango der höchste und der Agua mit 3760 Metern der niedrigste Berg. Nur der Fuego ist derzeit noch aktiv. Von hier aus können wir beobachten, wie er ziemlich regelmäßig kleine dunkle Rauchwolken ausstößt. Sportliche Menschen können Wanderungen auf den Acatenango unternehmen und entweder in der Nacht beobachten, wie die glühende Lava aus dem Fuego in die Höhe geschleudert wird oder wie die Sonne am Morgen hinter ihm aufgeht. Wie wir in den nächsten Tagen feststellen, haben wir den idealen Tag für den Aufstieg erwischt. Nur heute sind die drei Gipfel nicht von Wolken umhüllt.
Eine interessante Besichtigung kann man auch im Kapuzinerkonvent machen. Das große Kloster wird am heutigen Tag allerdings auf ungewöhnliche Art und Weise genutzt. Mitten im Innenhof wird alles für eine Hochzeitsfeier vorbereitet. Drei Tische sind gedeckt und die 35 Gedecke mit goldenen Platztellern funkeln in der Sonne. Geschäftiges Hin- und Herlaufen lässt die ursprüngliche Bedeutung dieses Ortes ein wenig in den Hintergrund treten. Aber wir sind in erster Linie am Turm der Zurückgezogenheit interessiert. Um einen runden Platz sind 18 kleine Zellen angeordnet, die jeweils einen eigenen Abtritt hatten. Zwei eingerichtete Zellen zeigen, dass die Nonnen außer einem Wandregal, einer Bank und einem Betstuhl keine weiteren Einrichtungsgegenstände hatten. Das 1736 fertiggestellte Kloster wurde bereits 40 Jahre später wieder aufgegeben, nachdem zwei Erdbeben es schwer beschädigt hatten.
In der Hauptkirche La Merced ist eine Besonderheit von Antigua zu besichtigen. Für die Osterprozession werden in der Stadt bunte Teppiche (Alfombras) aus Pflanzen oder bunten Sägespänen bzw. Sägemehl ausgelegt. In der Kirche ist ein solches Kunstwerk bereits zu besichtigen. Bevor es sorgsam abgesperrt wurde, ist jemand darüber gelaufen und hat in dem perfekt ausgeführten Muster ein paar Spuren hinterlassen.
Am Samstag wollen wir noch etwas besorgen und laufen zum „Kaufhaus“. Auf der einen Seite geht es in einen Supermarkt und durch einen engen Durchgang kommt man in eine Art Gemischtwarenladen, wo es einfach alles gibt, bis auf die Batterie für das Handy. Dafür müssen wir in die Markthalle.
Versehentlich geraten wir auf den außerhalb stattfindenden Obst- und Gemüsemarkt. Er ist eng, kunterbunt und laut. Ein paar selbsternannte Prediger haben sich eine Obstkiste gegriffen und lesen den größtenteils uninteressierten Mayas aus der Bibel vor. Anderswo wird getrommelt oder Musik gemacht, die Ausrufer preisen ihre Waren an, Kinder kreischen, Hunde bellen, es ist das pralle Leben. Zwischen allen Arten von Lebensmitteln werden auch Blumen und über 30 cm lange Nadeln der Pinien angeboten. Was macht man bloß damit?
Das Rätsel wird am nächsten Tag gelöst. Unser Bus fährt um 14 Uhr, und wir laufen nach dem Frühstück noch einmal in die Stadt. Der nette Hotelbesitzer hatte uns von einer heute stattfindenden Prozession erzählt. Einige Straßen sind bereits für den Autoverkehr gesperrt, aber wie wir von einer Polizistin erfahren, beginnt die Prozession erst um 16 Uhr. Und dann sehen wir auf der gesperrten Straße, dass die langen Piniennadeln zu einem rechteckigen Teppich ausgebreitet sind, darauf werden mit Blumen Ornamente gelegt. Ein Stück weiter sind mehrere Menschen dabei, gefärbte Sägespäne in Schablonen zu füllen und fest zu klopfen. Schon kleine Kinder helfen dabei mit. Wieder ein Stück weiter können wir die Fertigstellung eines Alfombra aus farbigem Sägemehl beobachten. Sobald eine Schicht liegt, wird sie mit Wasser besprüht, damit der Wind das Kunstwerk nicht zerstört. Männer in lilafarbenen Kutten laufen herum. Sie tragen an Ostern die Heiligenfiguren und den Sarkophag mit einer lebensgroßen Jesusfigur durch die Stadt. Dass die Blumenteppiche dabei vollständig zerstört werden, empfinden die Hersteller als Ehre. Die heruntergefallenen Blüten der Jakarandabäume haben fast dieselbe Farbe wie die Kutten und bilden auf den Wegen den perfekten Untergrund. Wir sind so froh, einen kleinen Einblick in die Festlichkeiten zu erhaschen, denn Ostern sind wir mit Sicherheit nicht mehr hier.
Die letzten zwei Stunden verbringen wir in dem hübschen Museum Santo Domingo. Außer dem sehenswerten Innenhof und der zerstörten Kirche sind in den umliegenden Räumen Gemälde, eine Apotheke, der Hörsaal der ehemaligen Universität, ein Raum mit Trachten und Spielzeug und eine alte perfekt ausgestattete Küche zu sehen. Besonders beeindruckend ist eine Halle, in der antike und moderne Skulpturen einander gegenüberstehen. Thematisch passend sieht man z. B. auf der einen Seite ein über 2000 Jahre altes Krokodil aus Jade auf der anderen ein gläsernes aus dem vergangenen Jahrhundert. Die modernen Kunstwerke stammen fast alle aus Europa. An die 50 Vitrinen beherbergen diese Kunstschätze.
Erstaunt sehen wir in einem der Innenhöfe den Berliner Bären. Er wurde der Stadt Antigua 2018 anlässlich des 26. Gipfeltreffens der iberoamerikanischen Staaten von der Bundesrepublik Deutschland geschenkt und hat hier einen Ehrenplatz bekommen.