In dieser Nacht prasselt der Regen unentwegt auf das Blechdach. Am Morgen gleicht die Straße zum Frühstückslokal einem Bach. Es ist kurz vor 8 Uhr, und die Besitzer machen schnell die Liegestellen, auf denen sie die Nächte verbringen, bereit für die Gäste. Das nach drei Seiten offene Lokal ist alles für sie, Arbeitsstelle, Schlaf- und Wohnraum in einem.
Unser Gastwirt kommt mit der 14 Monate alten Tochter auf dem Arm zur Anlegestelle, um uns zu verabschieden. Das Mädchen trägt ein pinkfarbenes Kleid und passende Sandalen mit Glitzer. Kaum stellt er es auf den Boden, schleudert die Kleine mit empörter Mine die Schuhe von den Füssen. Barfußlaufen ist trotz Steinen und Matsch offenbar angenehmer. Überhaupt Schuhe, die Menschen tragen fast nie welche in der richtigen Größe, entweder sichtbar zu groß oder zu klein.
Kurz vor 9 Uhr hört es auf zu regnen, und zusammen mit anderen deutschen Touristen klettern wir aufs Boot, alle wollen nach Kambodscha. In Narkasang erklimmen wir das schlammige Ufer, 100 Meter weiter steigen wir in einen der beiden wartenden Minibusse. Während der kurzen Fahrt zur Grenze kommen wir mit Christine und Axel ins Gespräch, die ebenfalls nach Kratie unterwegs sind. Sie machen begeistert entbehrungsreiche Trekkingtouren und sind sehr am ursprünglichen Leben der Einheimischen interessiert.
An der Grenzstation in Laos geben wir den Pass und das Ausreiseformular ab, zahlen 2 US$ Stempelgebühr und laufen 500 Meter weiter zur kambodschanischen Seite. Für das Visa on Arrival müssen wir wieder Formulare ausfüllen, 38 US$ bezahlen und dann warten wir nach Gepäckkontrolle auf unseren Minibus. Anscheinend ist das Fahrzeug ein Biertransport von Beerlao mit der Möglichkeit, Personen mitzunehmen. Die Kartons bedecken den ganzen Boden, nur vor den Sitzen sind schmale Abstände, damit man nicht auf die Kartons treten muss. In Stung Trenk halten wir für eine Mittagspause.
Das Lokal liegt malerisch am Ufer des Sekong, der ein Stück weiter in den Mekong mündet. Wir bekommen unser Essen als letzte, Reis mit Metzelhuhn. Ich habe nicht mehr daran gedacht, dass hier jedes gebratene Stück Fleisch ohne Anatomiekenntnisse mit einem großen Hackmesser zerteilt wird, und Knochensplitter im Essen verderben mir den Appetit.
Bevor wir weiterfahren, bestimmt der Fahrer eine neue Sitzordnung. Das französische Ehepaar, das bisher neben ihm in der ersten Reihe saß, muss die Plätze mit den beiden eigenen Kindern tauschen, die vorher hinter uns saßen. Niemand kapiert das, bis an der Ecke ein junger Kambodschaner zusteigt und sich zwischen die Kinder quetscht. Die Mutter schäumt vor Wut, aber in diesem Fall verhindert die Sprachbarriere eine Auseinandersetzung. Die 13jährige und ihr 11jähriger Bruder bleiben total gelassen. Die Eltern wollen ihnen die Welt zeigen, doch die beiden sind nicht an der Welt, sondern an der Lösung eines Computerspiels interessiert. Gebannt verfolgen sie auf ihrem Smartphone Videos, die zeigen, wie man Kriege gegen Monster gewinnt. Nicht einen einzigen Blick gönnen sie dem Land, durch das wir während der nächsten drei Stunden fahren.
Kambodscha, obwohl noch ärmer als Laos, wirkt hier aufgeräumter; weniger Müll liegt herum, vor den Häusern wird gefegt, das Zusammengekehrte landet mit allem, was nicht verbrannt werden sollte (Plastik und Getränkedosen) in der privaten Müllverbrennung an der Straße.
Als wir Kratie (ca. 60.000 Einwohner) erreichen, fahren wir nicht durch einen religiös verzierten Torbogen, sondern dieser ist mit einem monströsen Baustellenfahrzeug der Marke John Deere geschmückt. Die breite vierspurige Hauptstraße ist asphaltiert, die Markt- und Imbissstände an den Rändern stehen auf Sandboden. Unser Hotel liegt am Ufer des Mekong, direkt gegenüber der Insel Koh Trong. Wir sind von vielfältigen Geräuschen umgeben. Vor unserem Zimmer findet sich täglich ein großer Schwarm zwitschernder Weißbart-Seeschwalben ein, im Mekong wird nonstop Sand gebaggert und auf der Promenade trifft sich abends eine ca. 100 Personen starke Gruppe, die zu dröhnender Technomusik eine Stunde lang Gymnastik nach Ansage eines Vorturners macht.
Fünf Minuten vom Hotel entfernt haben wir ein Restaurant gefunden, das von einem jungen Australier geführt wird, Gerichte aus der westlichen und der Khmer-Küche, stehen auf der Karte. Alles wird selbst gemacht, Chutneys, Mayonnaise, Dressings, Nussbutter und alles schmeckt köstlich. Die Küche, die man auf dem Weg zur Toilette durchqueren muss, ist so aufgeräumt, wie wir es noch nirgends gesehen haben. Das hier reichlich fließende Trinkgeld landet in einem Sozialprojekt, das arme Familien mit Lebensmitteln versorgt. Schon am nächsten Morgen sind wir wieder hier zum Frühstücken. Wir müssen ein Weilchen warten, bis die Mitarbeiterin vom Markt zurückkommt, die Eier sind alle. In der Zwischenzeit genießen wir den Kaffee aus der Presskanne und schauen hinaus in den Platzregen. Regen im Januar, so etwas hat es in den elf Jahren, die dieser junge Unternehmer hier lebt, noch nie gegeben.
Wir brauchen Geld, am Automaten kann man zwischen US$ und kambodschanischen Riel wählen, 1 Dollar entspricht 4.000 Riel. Bezahlen ist mit beiden Währungen möglich, Wechselgeld gibt es meistens in Riel. Anschließend laufen zum Busbahnhof, um in einem der umliegenden Geschäfte SIM-Karten zu kaufen. Während wir uns mit dem einen jungen Mann mehr schlecht als recht verständigen, repariert der andere neben ihm mit unendlicher Geduld ein zerstörtes Handy. Diese Hingabe macht mir Hoffnung, dass meine Kamera noch zu retten ist.
Der gegenüberliegende große Tempel wird gerade restauriert und ist nur von der anderen Straßenseite zu betreten. Im Hof steht noch ein kleiner Tempel, den die Gläubigen währenddessen nutzen können. Den besuchen wir nachmittags und treffen im Hof auf eine Gruppe von 10 bis 12 Männern, die Fußfederball (Da Cau) spielen. Diese Geschicklichkeit, diese Treffsicherheit, die kleine federgeschmückte Scheibe wird mit der Schuhsohle oder –seite zurückgeschlagen. Sie fliegt zwischen den Spielern hin und her, ohne den Boden zu berühren, nur ganz selten wird eine Faust eingesetzt. Wir klatschen Beifall, das freut wiederum die Spieler.
Auf dem Weg zur Markthalle fallen die vielen Gebäude aus der französischen Kolonialzeit auf. Natürlich alle renovierungsbedürftig, aber noch immer mit einer gewissen Eleganz. Auch die Markthalle stammt aus dieser Zeit, aber sie ist von außen kaum zu erkennen, so zugewuchert ist sie mit kleinen Ständen mit allem, was nicht essbar ist. Jetzt gegen 19 Uhr werden die gerade zugemacht. Nur der Lebensmittelmarkt um die Halle herum ist noch geöffnet und die Männer und Frauen hoffen darauf, Fische und Gemüse noch loszuwerden. Zehn bis zwölf Kinder rennen herum, und als sie uns entdecken, wollen sich alle mit uns abklatschen. “High five”, sagt Klaus und begeistert sprechen sie die neuen Worte immer wieder aus. Die drei- bis achtjährigen werden nicht müde, dieses Spiel mit uns zu spielen und folgen uns ein ganzes Stück.
Abends treffen wir Christine und Axel im Restaurant des Australiers und verbringen ein paar Stunden mit gutem Essen und angeregter Unterhaltung. Sie zeigen uns Bilder von der letzten Reise nach Kirgisistan und Usbekistan. Was die beiden auf Reisen auf sich nehmen, beeindruckt uns sehr. Wir tauschen Telefonnummern aus, vielleicht laufen wir uns ja wieder über den Weg.