Cobán und der Kaffee (Guatemala)

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Es ist nach acht Uhr am Morgen und während wir auf das nette Ehepaar warten, das uns heute nach Cobán mitnehmen will, beobachten wir Montezumastirnvögel.

In den hohen Bäumen hängen viele ca. einen Meter lange gewebte Nester. Von unten sehen sie wie etwas schlampig gestrickte Beutel aus. Aber es kommt ja nicht auf Schönheit sondern in erster Linie auf Haltbarkeit an. Schließlich müssen sie nicht nur zwei Eier sondern auch noch das brütende Weibchen, das bis zu 40 cm groß und über 200 Gramm schwer ist, sicher halten. Hier scheinen die Jungen schon geschlüpft zu sein, denn ständig fliegen Vögel hin und her. Dabei stoßen sie glucksende, leicht blubbernde Töne aus. Ein Männchen ist meistens der Vater der ganzen Nachkommenschaft und kann sich natürlich nicht um die Aufzucht kümmern.

Ich habe bestimmt schon 50 Fotos gemacht, als Axel und Ema vor dem Hotel ankommen. Sie fahren einen Pick-up, auf dessen Ladefläche schon ein Backpacker-Pärchen sitzt. Unser Gepäck kommt dazu und wir nehmen zusammen mit Vanessa auf dem Rücksitz Platz. Vorsichtig lenkt Axel das Fahrzeug über die löchrige Brücke und tritt dann gehörig aufs Gaspedal. Unglaublich, in welcher Geschwindigkeit er diese holprige und kurvenreiche Strecke fährt. „Wie ein Ralley-Fahrer,“ meint Klaus und damit hat er Recht, Axel ist einer.

Nach 10 Kilometern klettern die Mitfahrer in Lanquin leicht grün im Gesicht von der Ladefläche. Für uns geht es weiter. Nach ungefähr 30 Kilometern treffen wir wieder auf eine befestigte Straße. Man weiß gar nicht, ob man nach links oder rechts schauen soll, wieder ist die Landschaft unglaublich schön.

Auf Emas Bitte hin hält Axel einige Male an. Wir werden auf Kaffeeplantagen aufmerksam gemacht. Ema zeigt uns eine Kardamomanpflanzung. Guatemala ist der größte Exporteur dieses dritt-teuersten Gewürzes weltweit. Nicht nur in der indischen und skandinavischen Küche wird es verwendet, auch im medizinischen Bereich sind die Wirkstoffe für eine Vielzahl von Erkrankungen hilfreich.

Der Cahabón-Fluss, an dem wir uns die letzten Tage aufgehalten haben, begleitet uns weiter in Richtung Cobán. Einige Staudämme wurden in den letzten Jahren gebaut, um den größer werdenden Bedarf an elektrischem Strom zu sichern.

In San Pedro Carchá ist gerade Markt. Als Axel merkt, dass Vanessa und ich fotografieren, dreht er noch mal eine Runde durch die Innenstadt. Die lebhafte Kleinstadt ist ein Handelszentrum für Kaffee, Kardamom und Gemüse, das von den Maya im weiten Umland angebaut wird. Einen besonderen Namen hat sich die Stadt in der Silberverarbeitung gemacht. Zehn Minuten später sind wir in Cobán und bei Axels Firma angekommen. Er begibt sich sofort an die Arbeit und Ema bringt uns zum Hotel. Aber vorher zeigt sie uns ihr Projekt.

Auf einem hügeligen Grundstück am Stadtrand entsteht eine kleine Lodge. Die zukünftigen Gäste werden in großen alten Weinfässern übernachten. Drei wurden schon aufgestellt davor eine hölzerne Plattform, zur Zeit noch ohne Geländer. Das sowie ein Badezimmer pro Fass wird in nächster Zeit angebaut werden. Das nötige Wasser muss von einer tiefer liegenden Quelle hochgepumpt werden. Drei weitere Fässer sollen folgen. Die Lage ist wunderschön, die Idee originell, wir drücken die Daumen, dass das Projekt ein Erfolg wird.

Bevor wir zu unserem Hotel kommen, zeigt Ema uns noch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Cobán. Ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit haben wir bestimmt der Tatsache zu verdanken, dass sie einen deutschen Großvater hat, der in den 1920er Jahren mit der zweiten Einwanderungswelle aus Konstanz gekommen ist. Aus seiner Ehe mit einer Einheimischen gingen 15 Söhne hervor. Ob die ähnlich vermehrungsfreudig waren, wissen wir nicht, aber Ema hat viele Verwandte. Der Metzger, der Wurst nach deutschem Rezept herstellt, ist ein Cousin, die Besitzerin eines empfohlenen Restaurants eine Cousine. Während der Rundfahrt deutet sie nach links und rechts und erwähnt weitere Angehörige der Großfamilie.

Wir bedanken uns herzlich für die Mitnahme und tauschen Telefonnummern aus. Irgendwann will Ema nach Deutschland kommen und sich bei uns melden.

Cobán, die Stadt mit ungefähr 100.000 Einwohnern, hat gemäß einem bekannten Reiseführer so gar nichts zu bieten. Das ist uns nur recht. Wir sind ja nicht nur unterwegs, um die Sehenswürdigkeiten abzuhaken, uns interessiert vielmehr das normale Leben der Menschen. In Cobán gibt es eine deutsche Gemeinde. Schon im frühen 19. Jahrhundert sind viele Deutsche nach Guatemala ausgewandert. Da die Gegend um die Stadt ideale Bedingungen für den Kaffeeanbau bietet, ließ die Gründung der ersten Plantagen nicht lange auf sich warten. Die dort lebenden Maya wurden kurzerhand vertrieben oder durften auf dem in Besitz genommenen Land als Arbeitskräfte bleiben. Der evangelische Pfarrer Otto Langmann war so begeistert vom Nationalsozialismus in seinem Heimatland, dass auf seine Initiative hin die NSDAP-AO gegründet wurde. Nicht alle Mitglieder der deutschen Kolonie ließen sich davon anstecken, eine Spaltung schien unabwendbar. In den USA verfolgte man diese Entwicklung mit zunehmender Nervosität und setzte letztendlich ab 1942 die Regierung des Landes unter Druck, die Deutschen auszuweisen. Das kleine Guatemala – abhängig von der finanzstarken Großmacht – hatte nicht die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Viele der Ausgewiesenen landeten in den USA und wurden zu einem wertvollen Pfand im Gefangenenaustausch. Nach Ende des zweiten Weltkrieges kehrten die meisten zurück. Noch heute ist ein großer Teil des Kaffeeanbaus fest in den Händen der Nachkommen jener Deutschen und deren Namen finden sich an Geschäften und auf Produkten. Immerhin hat der Pioniergeist unserer Landsleute Guatemala zu einem Kaffeeexporteur gemacht, der für seine hohe Qualität bekannt ist. Trotzdem gerät man beim Trinken des in den Lokalen angebotenen Kaffees nicht gerade in Verzückung. Für unseren Geschmack ist er einfach zu dünn.

Nach der Ankunft schauen wir uns die Innenstadt mit einem modernen Einkaufszentrum an. Ich freue mich darüber, dass hier kaum international bekannte Marken vertreten sind. Trotzdem gibt es alles, tolle Schuhe, Mode, Elektroartikel usw. Der Frisör hier kommt mir sehr gelegen, es gibt kaum Damenfrisöre. Die Mayafrauen tragen die Haare alle lang. So fragt die junge Frau auch zweimal nach, ob sie wirklich eine Handbreit von meiner Haarlänge abschneiden soll.

Die geplanten zwei Tage hier müssen wir verlängern, Klaus hat vermutlich durch Streetfood eine Salmonellenvergiftung und kann sich nicht weiter als 5 Meter von der Toilette entfernen. Auch Vanessa geht es nicht so gut, sie fühlt sich grippig und so verschieben wir den Weg auf den Kalvarienberg auf den nächsten Tag.

Und wirklich, beiden Patienten geht es besser. Klaus und ich laufen zum Parque Central, an dem sich auch das Büro der Landesregierung befindet. Links davon steht die Kathedrale Santo Domingo, eine relativ schmucklose große Kirche. Dass die Bänke hochkant stehen, verblüfft uns auf den ersten Blick, aber vermutlich ist Großreinemachen angesagt. Schließlich ist in wenigen Wochen Ostern und dieses Fest ist in vielen Ländern Lateinamerikas wichtiger als Weihnachten.

Gleich um die Ecke beginnt der Obst und Gemüsemarkt. Immer wieder faszinieren uns die Bauernmärkte, wo Mayafrauen in ihrer Tracht Erzeugnisse aus dem Garten verkaufen. Manche sitzen mit zwei Körben Tomaten hier, andere haben verschiedene Ernteerträge im Angebot.

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kleine Stärkung nach der Schule

Nach dem Frühstück laufen wir die steile Straße hinab und landen in dem Teil des Marktes, wo Kleidung und Haushaltsgegenstände verkauft werden. Niemand versucht uns etwas zu verkaufen, daran merken wir, dass Touristen sich selten hier aufhalten.

irgendwie müssen die Einkäufe transportiert werden

Später treffen wir uns mit Vanessa am Fuß des Kalvarienberges und laufen gemeinsam die Treppe hoch. Hier wird an der Verschönerung gearbeitet, die Mauern werden frisch geweißt, und in der Kirche stehen die Figuren bereit, die während der Osterprozession herumgetragen werden.

Abends gehen wir noch einmal zusammen zum Essen, dann trennen sich unsere Wege. Aber heute Abend muss die Spezialität Cobáns auf den Tisch: Caq-ik – eine Suppe aus Geflügelbrühe, Tomaten, Chili und vielen Gewürzen, die mit einem sehr großen Stück Putenfleisch, Reis und Tamales (in Maisblättern gegarter Maisbrei) auf den Tisch kommt. Morgen fahren wir nach Antigua, während Vanessa nach Nebay fährt.

Antigua, die Schöne (Guatemala)

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Um halb elf sollen wir im Hotel abgeholt werden. Noch eine Viertelstunde, die ich für ein Telefonat mit meiner Mutter nutzen will, aber der Fahrer ist überpünktlich. Er bringt uns zum Treffpunkt vor dem Einkaufszentrum. Der Bus parkt neben einem international bekannten Fastfood-Restaurant vor dem großen Einkaufszentrum. Die Koffer kommen aufs Dach des Busses und wir haben noch eine halbe Stunde Zeit. Eine gute Möglichkeit, unser Elektronik-Equipment zu vervollständigen. Pünktlich kommen wir zurück, nicht so die anderen Fahrgäste. Der Busfahrer drückt ein paar Mal energisch auf die Hupe, bis sie sich bequemen.

Wir haben wirklich schon reizende Backpacker kennengelernt. Heute scheint von dieser Sorte niemand dabei zu sein. Wer zuvor allein eine Zweierbank ergattert hat, ist auch nicht bereit, die gegen einen Einzelplatz zu tauschen. Lieber werden die Füße samt Schuhen auf dem freien Platz ausgestreckt. Klaus und ich quetschen uns getrennt irgendwo dazwischen. Einige haben wohl zu spät mit dem Essen begonnen und kommen nun mit großen fettigen Tüten in den Bus. Es riecht wie in einer Imbissbude. Verschiedene Unterhaltungen werden über mehrere Sitzreihen in einer Lautstärke geführt, dass alle etwas davon haben. Aber: Die paar Stunden kriegen wir auch rum.

Außehalb von Cobán sind Straßenarbeiter dabei, den Müll an den Rändern der Straße aufzusammeln. Es ist wirklich auffällig, bisher ist Guatemala von allen Entwicklungsländern das sauberste.

Schnell sind wir wieder in den Bergen, wo große Flächen weiß oder schwarz verhüllt sind. In Gewächshäusern, die einfach mit Vliesplanen bedeckt sind, gedeihen Gemüse und Zierpflanzen, darunter viele Orchideen. Die Erzeugnisse werden direkt davor an Verkaufsständen angeboten. Nie zuvor gesehene Orchideenarten sind dabei. Die erbsen- bis aprikosengroßen Blüten sind weiß, blassgelb, rosa und lila oder zeigen Farbmischungen.

Über manche Geschäftsidee der Bevölkerung kann man nur staunen. Ein Hähnchengrill in einem leuchtend orange lackierten Tuctuc bringt mich zum schmunzeln. An drei Stangen drehen sich neun Hähnchen. Und nach der Anzahl der anstehenden Personen zu urteilen, müssen sie sehr lecker sein.

Wir kommen an einer Großbaustelle vorbei, stufenweise wird hier ein Berg abgetragen, um Material für den Straßenbau zu bekommen. Diese Strecke ist eine der meistbefahrenen im ganzen Land, führt sie doch in die Landeshauptstadt Guatemala City, die wir eine Stunde später erreichen. Hier zeigt sich ein ganz anderes Bild. Nur ganz wenige Mayafrauen sind hier in Tracht unterwegs. Westliche Kleidung – allem voran Jeans – ist angesagt. Die Millionenstadt auf 1.500 Metern Höhe wirkt chaotisch, laut und auf den ersten Blick wenig anziehend. Unser Bus durchfährt aber nur die Randbezirke, vermutlich sieht es im Inneren anders aus. Die Stadt wurde durch Erdbeben mehrmals zerstört und hat sich in den letzten Jahrzehnten immer schneller ausgebreitet, so dass die Slums zum Teil mitten in der Innenstadt liegen. Der Bus braucht beinahe zwei Stunden, bis er die Stadtgrenze erreicht. Zwar liegen noch die Städte Mixco und Villa Nueva zwischen uns und unserem Ziel, aber die Schnellstraße ermöglicht das Umfahren. Jetzt nur noch bergab und sechseinhalb Stunden nach Abfahrt sind wir endlich in Antigua.

Noch scheint die Sonne und schon der erste Eindruck sagt uns: „Hier sind wir richtig.“ Da sich kein Taxi zeigt, müssen wir die 850 Meter zu unserem Hotel zu Fuß gehen. Eigentlich kein Problem, aber an Klaus Koffer hat sich ein Rad gelöst, nun muss er den Koffer auf den vorhandenen kleinen Rädern über das holperige Kopfsteinpflaster ziehen. Doch auch dieser Weg geht zu Ende und wir können endlich eins von vier Zimmern in einem netten kleinen Hotel am Rande der Altstadt beziehen.

Am nächsten Morgen laufen wir los. Nach der Eroberung durch Spanien wurde Antigua 1543 Hauptstadt. Nach und nach entstanden prächtige Gebäude. Obwohl mehrere schwere Erdbeben die Stadt zerstörten, wurde sie immer wieder aufgebaut. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Stadt alles, was die 50.000 Einwohner brauchten, mehr als 50 Kirchen und Kapellen, Schulen, Krankenhäuser und eine Hochschule. 1773 wurde die ganze Herrlichkeit durch ein Erdbeben komplett zerstört. Die Hauptstadt wurde darauf hin in gut 40 Kilometer Entfernung errichtet: Guatemala City. Doch wollte man Antigua nicht komplett aufgeben und baute erneut auf. Aber das Schicksal schlug 1976 erneut in Form eines schweren Erdbebens zu. Noch heute zeigen Ruinen die Auswirkungen. Die Altstadt ist Weltkulturerbe und man weiß wirklich nicht, wohin man zuerst schauen soll. Weiß getünchte Häuser wechseln sich mit bunt gestrichenen ab. Prächtige Kirchen, herrliche Innenhöfe, selbst die Ruinen liegen malerisch in der Sonne.

Wir durchstreifen die Stadt kreuz und quer. Natürlich ist solch eine Schönheit ein Touristenmagnet, aber die konzentrieren sich meistens auf den Bereich um die Kirche la Merced und den Santa Catalina Bogen.

Hier findet man auch die meisten Geschäfte, auch ein sogenanntes Schokolade-Museum, das aber in erster Linie ein großer Verkaufsraum ist.

Je weiter man in die Randbereiche vordringt, umso weniger Touristen laufen einem über den Weg. Mit einem Becher Frozen Yoghurt mit Früchten setzen wir uns in den Central Park und schauen zu, wie Mayafrauen das Kunststück fertig bringen, das Baby im Tragetuch auf dem Rücken zu haben und gleichzeitig noch weitere Tücher mit ihrem jeweiligen Warenangebot zu schleppen und zu etwas verkaufen.

Natürlich wird auch uns immer wieder etwas angeboten, aber meistens genügt ein einmaliges: „Nein danke.“ Kinder strömen aus der Schule kommend quer über den Platz, Bettler stellen ihre körperlichen Gebrechen zur Schau, dazwischen versuchen Tauben irgendetwas fressbares zu ergattern. Hunde schleichen herum, es ist ein herrlich buntes Leben und Treiben.

Klaus hat Geburtstag und wir essen abends in einem besonders schönen Restaurant. Unter freiem Himmel sind rund um ein mit Rosenblättern bestreutes Wasserbecken lange Lichterketten aufgehängt.

Der Tisch hinter unserem ist offensichtlich für einen romantischen Abend reserviert. Auf dem weißen Tischtuch stehen zwischen Rosenblättern eine Anzahl Kerzen. Ein junger Mann läuft aufgeregt hin und her, bis die sehnsüchtig erwartete junge Dame von ihren Eltern begleitet an seinem Tisch erscheint. Die Eltern verabschieden sich und lassen die jungen Leute allein. Das blutjunge Mädchen ist überwältigt, seine entzückten Laute hören sich an wie das Maunzen einer jungen Katze.

Am nächsten Tag gehen wir zum Cerro de la Cruz, dem Hausberg von Antigua. Treppenstufen führen in weiten Bögen hinauf.

Nach einer halben Stunde hat man von hier aus einen herrlichen Blick über die Stadt und auf den gegenüberliegenden Vulkan Agua, der so ebenmäßig aussieht wie aus dem Bilderbuch. Rechts davon die Zwillingsvulkane Acatenango und Fuego. Mit 3.976 Metern ist der Acatenango der höchste und der Agua mit 3760 Metern der niedrigste Berg. Nur der Fuego ist derzeit noch aktiv. Von hier aus können wir beobachten, wie er ziemlich regelmäßig kleine dunkle Rauchwolken ausstößt. Sportliche Menschen können Wanderungen auf den Acatenango unternehmen und entweder in der Nacht beobachten, wie die glühende Lava aus dem Fuego in die Höhe geschleudert wird oder wie die Sonne am Morgen hinter ihm aufgeht. Wie wir in den nächsten Tagen feststellen, haben wir den idealen Tag für den Aufstieg erwischt. Nur heute sind die drei Gipfel nicht von Wolken umhüllt.

Eine interessante Besichtigung kann man auch im Kapuzinerkonvent machen. Das große Kloster wird am heutigen Tag allerdings auf ungewöhnliche Art und Weise genutzt. Mitten im Innenhof wird alles für eine Hochzeitsfeier vorbereitet. Drei Tische sind gedeckt und die 35 Gedecke mit goldenen Platztellern funkeln in der Sonne. Geschäftiges Hin- und Herlaufen lässt die ursprüngliche Bedeutung dieses Ortes ein wenig in den Hintergrund treten. Aber wir sind in erster Linie am Turm der Zurückgezogenheit interessiert. Um einen runden Platz sind 18 kleine Zellen angeordnet, die jeweils einen eigenen Abtritt hatten. Zwei eingerichtete Zellen zeigen, dass die Nonnen außer einem Wandregal, einer Bank und einem Betstuhl keine weiteren Einrichtungsgegenstände hatten. Das 1736 fertiggestellte Kloster wurde bereits 40 Jahre später wieder aufgegeben, nachdem zwei Erdbeben es schwer beschädigt hatten.

In der Hauptkirche La Merced ist eine Besonderheit von Antigua zu besichtigen. Für die Osterprozession werden in der Stadt bunte Teppiche (Alfombras) aus Pflanzen oder bunten Sägespänen bzw. Sägemehl ausgelegt. In der Kirche ist ein solches Kunstwerk bereits zu besichtigen. Bevor es sorgsam abgesperrt wurde, ist jemand darüber gelaufen und hat in dem perfekt ausgeführten Muster ein paar Spuren hinterlassen.

Am Samstag wollen wir noch etwas besorgen und laufen zum „Kaufhaus“. Auf der einen Seite geht es in einen Supermarkt und durch einen engen Durchgang kommt man in eine Art Gemischtwarenladen, wo es einfach alles gibt, bis auf die Batterie für das Handy. Dafür müssen wir in die Markthalle.

Versehentlich geraten wir auf den außerhalb stattfindenden Obst- und Gemüsemarkt. Er ist eng, kunterbunt und laut. Ein paar selbsternannte Prediger haben sich eine Obstkiste gegriffen und lesen den größtenteils uninteressierten Mayas aus der Bibel vor. Anderswo wird getrommelt oder Musik gemacht, die Ausrufer preisen ihre Waren an, Kinder kreischen, Hunde bellen, es ist das pralle Leben. Zwischen allen Arten von Lebensmitteln werden auch Blumen und über 30 cm lange Nadeln der Pinien angeboten. Was macht man bloß damit?

Das Rätsel wird am nächsten Tag gelöst. Unser Bus fährt um 14 Uhr, und wir laufen nach dem Frühstück noch einmal in die Stadt. Der nette Hotelbesitzer hatte uns von einer heute stattfindenden Prozession erzählt. Einige Straßen sind bereits für den Autoverkehr gesperrt, aber wie wir von einer Polizistin erfahren, beginnt die Prozession erst um 16 Uhr. Und dann sehen wir auf der gesperrten Straße, dass die langen Piniennadeln zu einem rechteckigen Teppich ausgebreitet sind, darauf werden mit Blumen Ornamente gelegt. Ein Stück weiter sind mehrere Menschen dabei, gefärbte Sägespäne in Schablonen zu füllen und fest zu klopfen. Schon kleine Kinder helfen dabei mit. Wieder ein Stück weiter können wir die Fertigstellung eines Alfombra aus farbigem Sägemehl beobachten. Sobald eine Schicht liegt, wird sie mit Wasser besprüht, damit der Wind das Kunstwerk nicht zerstört. Männer in lilafarbenen Kutten laufen herum. Sie tragen an Ostern die Heiligenfiguren und den Sarkophag mit einer lebensgroßen Jesusfigur durch die Stadt. Dass die Blumenteppiche dabei vollständig zerstört werden, empfinden die Hersteller als Ehre. Die heruntergefallenen Blüten der Jakarandabäume haben fast dieselbe Farbe wie die Kutten und bilden auf den Wegen den perfekten Untergrund. Wir sind so froh, einen kleinen Einblick in die Festlichkeiten zu erhaschen, denn Ostern sind wir mit Sicherheit nicht mehr hier.

Die letzten zwei Stunden verbringen wir in dem hübschen Museum Santo Domingo. Außer dem sehenswerten Innenhof und der zerstörten Kirche sind in den umliegenden Räumen Gemälde, eine Apotheke, der Hörsaal der ehemaligen Universität, ein Raum mit Trachten und Spielzeug und eine alte perfekt ausgestattete Küche zu sehen. Besonders beeindruckend ist eine Halle, in der antike und moderne Skulpturen einander gegenüberstehen. Thematisch passend sieht man z. B. auf der einen Seite ein über 2000 Jahre altes Krokodil aus Jade auf der anderen ein gläsernes aus dem vergangenen Jahrhundert. Die modernen Kunstwerke stammen fast alle aus Europa. An die 50 Vitrinen beherbergen diese Kunstschätze.

Erstaunt sehen wir in einem der Innenhöfe den Berliner Bären. Er wurde der Stadt Antigua 2018 anlässlich des 26. Gipfeltreffens der iberoamerikanischen Staaten von der Bundesrepublik Deutschland geschenkt und hat hier einen Ehrenplatz bekommen.

Lago Atitlán – der schönste See der Welt (Guatemala)

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Der Hotelbesitzer fährt uns zur Abfahrtstelle des Busses. Normalerweise kommt der Shuttlebus direkt zum Hotel. Aber durch die heute noch stattfindende Prozession sind viele Straßen gesperrt, das kostet einfach zu viel Zeit. Etliche Reisende haben sich schon vor der Reiseagentur versammelt. Das wird bestimmt wieder eng. Als der Kleinbus eine halbe Stunde nach der Abfahrtszeit kommt, werden wir auf einen zweiten Bus mit demselben Ziel vertröstet. Dadurch stehen wir jetzt als erste an der Haltestelle, haben aber nicht mit dem forschen jungen Mann gerechnet, der seine Ellbogen einsetzt und sich an uns vorbei als erster in den Bus schiebt. Ein freundliches Wort zu uns hätte ihm auch zu seinem Wunschplatz verholfen.

Es gibt auch vierspurige Straßen in Guatemala und auf einer solchen geht die Fahrt schnell voran. Wir durchqueren kleine Städte und Dörfer und gelangen auf 2.300 Meter Höhe. Dann verlassen wir die komfortable Straße und fahren auf einer Nebenstrecke erst durch ein paar Ansiedlungen und dann in engen Serpentinen die steilste Straße meines Lebens. Hier haben die Straßenbauer unglaubliches geleistet und der Fahrer muss alle seine Sinne beieinander haben, damit er hier heil herunter kommt. Der Pickup, der uns zuvor todesmutig überholt hat, steht nun am Rand und muss die heiß gelaufenen Bremsen abkühlen lassen. Als wir in San Pablo la Laguna ankommen ist Schluss mit der guten Straße, ab hier wird es holperig. Obwohl unserer Fahrer das Gefährt umsichtig lenkt, werden wir heftig durchgeschüttelt. Als erstes geht es über diese Straße weiter nach San Marcos la Laguna. Dieser kleine Hippie-Ort ist das Ziel für Menschen, die sich esoterisch oder spirituell erleuchten lassen wollen. Entsprechend ist das Angebot: Healing-Center, Meditiations-Center, spiritistisches Center, Selbstfindungs-Center und eine ganzere Reihe anderer Center. Außer uns beiden und einem weiteren Fahrgast steigen alle aus. Und wir rumpeln zurück in die normale Welt und auf eine normale Straße. Eine dreiviertel Stunde später sind wir in San Pedro la Laguna, unserem Ziel für die nächsten Tage. Es ist inzwischen dunkel geworden und der Bus fährt über die Hauptstraße, wo links und rechts Streetfood angeboten wird. Zum Glück liegt unser Hotel ein Stück entfernt. Wir beziehen ein großes Zimmer mit eigenem Bad. Restaurants gibt es genug in der unmittelbaren Umgebung.

Am Morgen packen wir unsere Schmutzwäsche zusammen und nehmen sie auf dem Weg zum Frühstück mit. Wir wissen kaum, worüber wir uns mehr freuen sollen, darüber dass die Wäsche schon nachmittags fertig sein wird und nur 4,50 € für 5 Kilo kostet, oder dass direkt daneben ein nettes italienisches Cafe ist, wo wir im Garten hervorragenden Kaffee und Frühstück mit frisch gebackenem Brot bekommen.

Gut gestärkt und ohne Wäschebeutel beginnen wir, den Ort zu erkunden. Erst in östlicher, dann in westlicher Richtung, immer in der Nähe des Sees. Der Lago Atitlan, zweitgrößter See Guatemalas, ist vor 85.000 Jahren nach der Explosion eines Vulkans in der Caldera entstanden und mit 130 km² etwas kleiner als der Comer See. Alexander von Humboldt bezeichnete ihn als schönsten See der Welt. Wir glauben ihm das, der Mann hatte schließlich Ahnung.

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Die Lage ist wirklich schön, die umgebenden Berge – darunter die drei Vulkane San Pedro, Tolimán und Atitlán – spiegeln sich im blauen Wasser. Und die „Indianernase“ – ein markanter Berg, in dem die Menschen einen schlafenden Indio sehen – lässt die Herzen der Bergsteiger höher schlagen.

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Aber der Schein trügt; die Wasserqualität steht kurz vor dem Kippen. Dem See fehlen größere Zuflüsse und ein natürlicher Abfluss. Um eine Frischwasserzufuhr zu haben, fällt einfach zu wenig Regen. Und das, was dann über die Berghänge in den See fließt, ist durch intensiv eingesetzten Kunstdünger stark belastet. Auch Kläranlagen sucht man hier vergebens. Blaualgen fühlen sich dadurch richtig wohl und gefährden die Gesundheit der Menschen, die das Wasser nutzen oder sogar hier schwimmen wollen.

Der Ort San Pedro ist den Hang hinauf gebaut und hat viele kleine verwinkelte Gässchen, durch die so gerade mal ein Tuctuc passt. Bunt bemalte Fassaden, nette kleine Geschäfte, und immer wieder ein Blick auf den See. Wir fühlen uns hier richtig wohl. Dazu trägt bestimmt auch der fortschrittliche Bürgermeister bei, der dem Ort ein strenges Plastikverbot verordnet hat. Zu all den Schadstoffen müssen nach seiner Ansicht nicht auch noch Plastikabfälle den See gefährden. Sogar mit der mächtigen Plastiklobby der Hauptstadt hat sich der Mann angelegt und – man kann es kaum glauben – den Gerichtsprozess gewonnen. Die Mayafrauen nutzen wie schon seit langer Zeit gewebte Brottücher für den Einkauf beim Bäcker. Pflanzenblätter werden wieder zum Einwickeln frischer Lebensmittel verwendet. Und für alles andere gibt es Papiertüten.

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An der Bootsanlegestelle fragt ein Mann ob wir mitfahren wollen. Wir vertrösten ihn auf den nächsten Tag. Aber er hat noch ein anderes Angebot, eine Tour mit dem Tuctuc in den Nachbarort San Juan la Laguna mit Besichtigung einer Weberei, Schokoladenherstellung nach Art der Maya, einem Kräutergarten und einer Imkerei. Das klingt interessant und der Preis ist mit 200 Quetzales (23 €) ebenfalls angemessen. Wir sollen um 14 Uhr zurückkommen. Bis dahin machen wir noch einen Spaziergang durch den oberen Ortsteil.

Als wir zurückkommen steht schon Tuctuc Nr. 35 für uns bereit. Alle Fahrzeuge sind hier in rot grün und gelb angestrichen. Zur Unterscheidung dient die gut 30 Zentimeter große Nummer auf der Rückseite. Nur am Abend zeigt sich die Individualität der einzelnen Gefährte. Farbige Unterbodenbeleuchtung, umlaufende Lichtleisten mit Farbwechsel, blaue Leuchtstreifen, dreifarbige Scheinwerfer, hier scheint ein Wettbewerb unter dem Motto: „Auffallen, egal wie,“ stattzufinden.

Unser Fahrer und der englisch sprechende Fremdenführer nehmen vorne Platz, Klaus und ich auf der Rückbank.

Der erste Halt ist an der Kirche von San Pedro. Die Osterschmückung an der Außenfassade ist gerade in vollem Gange. Die lila und weißen Stoffbahnen im Innenraum sind schon aufgehängt und die lebensgroßen Heiligenfiguren stehen bereit. Sie sind alle mit Langhaarperücken – manche mit Rastalocken – ausgestattet.

Weiter geht es zum Nationalpark „Volcan  de San Pedro.“ Von einem Mirador (Aussichtspunkt) haben wir einen Blick auf den Vulkan, der seit etlichen hundert Jahren nicht mehr aufgemuckt hat. Kaffeesträucher wachsen an seinen Hängen und im kleinen Besucherzentrum, gibt es Informationen über die Tierwelt und den vierstündigen Aufstieg auf den 3000 Meter hohen Berg zum Kraterrand. Über ein ungepflastertes Stück gelangen wir nach San Juan la Laguna und fahren als erstes zu den Weberinnen.

Zwanzig Familien haben eine Kooperative gegründet (https://casadeltejidoytours.org/) und zeigen, wie in der Tradition der Maya Textilien gewebt werden. Schon lange vor der Eroberung durch Spanien haben die Maya Baumwollpflanzen kultiviert und für die Herstellung von Kleidung verwendet. Hier im Hof der Weberei hängen die aufgeplatzten Fruchtkapseln über einer Pergola. Eine junge Frau zeigt uns, wie es damit weitergeht. Sie nimmt die Fasern aus einer Kapsel und zupft sie auseinander. Die darin hängenden schwarzen Samen entfernt sie. Die feinen Haare werden auf einem dicken Kissen mit einem Stock mürbe geklopft, dann nimmt sie eine Spindel zur Hand und dreht aus den Fasern einen Faden. Ich muss das auch mal versuchen. „Wenn Sie sich geschickt anstellen bekommen Sie hier einen Job,“ wird mir versprochen. Klappt nicht, ich bin zu langsam. Der fertige Strang wird anschließend gefärbt. Ausschließlich Pflanzen und Borken werden verwendet. Gerade ist rosa dran. Gekochte rote Beete liefert den Farbstoff, ein beigefügtes Stück Bananenstaude fixiert die Farbe.

Anschließend wird gewebt wie vor Jahrhunderten, ohne Webstuhl nur mit geraden Ästen oder Holzstangen, an denen die Kettfäden befestigt sind. Das eine Ende wir an einen Baum oder Pfahl gehängt, das andere schlingt sich die Weberin mit einem Gürtel um die Taille. Alles wird hier von Hand gemacht. Vier Stunden braucht eine Weberin für einen Schal. Die Erzeugnisse können wir anschließend im Verkaufsraum bestaunen. Natürlich kann ich mich kaum zurückhalten. Ein paar Stücke müssen einfach mit, ein Paket nach Deutschland kann ja nicht die Welt kosten.

Ein Stück weiter werden wir in die Kunst der Schokoladenherstellung eingeweiht. Die Früchte am Kakaobaum haben wir schon mehrmals gesehen, auch Kakaobohnen, die vor den Häusern zum Trocknen ausgebreitet waren. Doch nun erfahren wir ganz genau, wie das alles vor sich geht. Mit einer Machete werden die Früchte vom Stamm geschlagen, dabei heißt es vorsichtig sein, damit die Rinde nicht verletzt wird. Im feuchtheißen Klima können Bakterien eindringen und den Baum krank machen. Die Kakaofrucht wird mit der Machete geöffnet und die Kerne samt dem weißen Fruchtfleisch – Pulpe genannt – in mit Bananenblättern ausgelegte Holzkästen gefüllt. Das zuckerhaltige Fruchtfleisch beginnt zu gären und setzt die Fermentation in Gang, die den Kakaobohnen einen Teil der Bitterstoffe entzieht. Anschließend wird getrocknet und geröstet. Nach Art der Maya werden die gerösteten Bohnen auf einem Reibstein so lange bearbeitet, bis sie eine pastenartige Konsistenz bekommen. Auf 70 % Kakaobohnen kommen nun 20 % getrocknete Melasse aus Zuckerrohr und 10 % Orangensaft. Wenn alles gut miteinander vermischt ist, werden daraus dünne Tafeln geformt. Die Schokolade ist natürlich nicht mit der industriell gefertigten zu vergleichen, hat aber einen guten, sehr intensiven Geschmack. Ohne ein paar Täfelchen gehen wir nicht aus dem Laden.

Der Besuch bei der Kräuterfrau ist interessant, wir erfahren hier jedoch nicht viel Neues. Doch das Rosmarin-Shampoo duftet unwiderstehlich und unseres ist fast alle. Umso mehr staunen wir beim Bienenzüchter. Er hat Völker unterschiedlicher Arten, darunter eins, dessen Bienen die Größe von Ameisen haben. Aus diesem Stock erntet er pro Jahr ¼ Liter Honig. Die anderen sind da produktiver. Der meiste Honig wird hier von den blühenden Kaffeesträuchern gewonnen, und das schmeckt man auch.

hier werden gerade Lehmziegel hergestellt

Ohne Frühstück laufen wir am nächsten Morgen zum Bootsanleger. Mal sehen, wann wir auf die andere Seite nach Panajachel – kurz Pana genannt – fahren können. Sofort, wie es sich zeigt. Es fehlen nur noch zwei Passagiere, damit das Boot ablegen kann. Mit uns beiden ist es voll besetzt. In einer Viertelstunde legt das Boot die 15 Kilometer zurück.

Auch hier holpert es ganz ordentlich. Zuviel für meinen Rücken, seit Tagen wird er durchgeschüttelt und sendet mir Signale der Verärgerung. So wird die Besichtigung in Pana nicht so ausführlich, wie wir das geplant haben. Uns gefällt die Stadt sowieso nicht so gut wie San Pedro. Schon ein paar Stunden später fahren wir zurück. Ich muss die Zähne zusammenbeißen, die Bootsfahrt ist die einzige Möglichkeit zurückzukommen, denn es gibt keine Straße die um den See herumführt. Zum Glück haben wir heute keinen Xocomil – den starken Wind, der das Seewasser gefährlich aufpeitscht.

Wegen meiner Rückenschmerzen müssen wir noch einen Tag hierbleiben, bevor wir San Pedro und den See verlassen können.

Drei Städte wie sie unterschiedlicher nicht sein können – Quetzaltenango, San Francisco und Antigua (Guatemala)

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Um von San Pedro fortzukommen, müssen wir noch einmal mit dem Boot über den See. Zum Glück verhält er sich um 8 Uhr morgens noch gnädig, kaum Wellen kräuseln die Wasseroberfläche, gut für meinen Rücken.

In Panajachel haben wir noch Zeit für ein kleines Frühstück, bevor unser Shuttlebus kommt. Nur noch ein weiterer Passagier – Sophie, eine junge Deutsche – hat denselben Weg wie wir. Die Rückfahrt ist um einiges angenehmer als die Hinfahrt.

Die Straße von Panajachel in die Berge ist lange nicht so steil, und eine knappe Stunde später sind wir oben an der Schnellstraße, der Panamericana. Wir wundern uns, dass der Fahrer Richtung Guatemala City abbiegt, aber schon nach 5 Minuten fährt er zu einer Tankstelle auf der anderen Straßenseite, hier müssen wir umsteigen. Das hat auch Sophie – trotz ihres Spanischkurs am Lago Atitlán – nicht verstanden. Wir wechseln in einen bequemen Minivan mit weich gepolsterten Sitzen und sind weiterhin nur zu dritt.
Nach Quetzaltenango – von den Einheimischen in der Maya-Sprache Xela (gesprochen Schela) genannt – geht es über die gut ausgebaute Panamericana. In anspruchsvollen Kurven erreichen wir eine Höhe von 3.300 Metern. Die Berge links und rechts sind noch höher und bestehen zum größten Teil aus Tuffgestein. Das ist ein großartiges Material, leicht zu bearbeiten und in diesem Klima recht haltbar. Die hier lebenden Menschen haben Lagerräume und Treppen in das Gestein gekratzt. Irgendwann sehen wir sogar Garagen.
Das große Tal in der Sierra Madre, in dem Xela liegt, ist durch Ablagerungen der umgebenden Vulkane überaus fruchtbar. Scheinbar jede Art von Gemüse wächst auf den dunklen Böden. Große gelbe Flecken dazwischen zeigen, dass Bäume und Sträucher gerade aus dem Winterschlaf erwachen und Blätter und Blüten austreiben.
Xela – die zweitgrößte Stadt Guatemalas – liegt auf 2.300 Metern. Hier ist es deutlich kühler als in allen Orten, in denen wir bisher waren. Deshalb liegen in unserem Hotel, das in den verschachtelten Gassen der Altstadt liegt, auch drei Decken auf dem Bett.

Die Sehenswürdigkeiten der Stadt gruppieren sich fast alle um den Park Centroamérica, das schaffen wir an einem Nachmittag. Wir müssen uns umgewöhnen, Zebrastreifen haben für die Auto- und Mopedfahrer nicht die geringste Bedeutung. Also kann man sich genauso gut an jeder anderen beliebigen Stelle überfahren lassen.

Einen guten Kilometer vom Park entfernt befindet sich der große Friedhof. Am Eingang sind die Etagengräber der ärmeren Bevölkerung – sozialer Grabbau sozusagen. Ein Stück weiter können wir dann Mausuleen aller Größen und Stilrichtungen bestaunen. Die Hinterbliebenen haben offenbar keine Kosten gescheut, um die Wichtigkeit des oder der Verstorbenen zu betonen. Als wir den Friedhof verlassen wollen, kommt uns gerade eine Trauergesellschaft entgegen. Voran läuft die Mariachi-Band, dahinter die Angehörigen. Der Sarg wird von schwarz gekleideten Frauen auf den Schultern getragen. Unauffällig mache ich ein paar Fotos.

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auf den Stufen vor der Kirche wartet man auf den Bus

Abends treffen wir uns mit einer Bekannten: Vanessa ist bereits seit einer Woche hier und besucht eine der vielen Sprachschulen. Vier Stunden täglich hat sie Unterricht und für nachmittags noch Hausaufgaben auf. Wie von der Sprachschule empfohlen wohnt sie in einer einheimischen Familie, wo niemand englisch spricht. Ihr muss permanent der Kopf schwirren.
Am nächsten Morgen holt sie uns um kurz nach sieben ab. Gemeinsam wollen wir den größten typischen Markt des Landes in dem 17 Kilometer entfernten Ort San Francisco besuchen. Wir lassen uns mit einem Taxi zum Busbahnhof bringen. Um diese Zeit ist noch nicht viel los, nur ein Mitarbeiter schaut aus seinem hölzernen „Amtsgebäude,“ das die Größe einer Telefonzelle hat. Wie immer kommt sofort jemand und will uns weiterhelfen. Der Bus lässt auch nicht lange auf sich warten und da er völlig leer ist, können wir uns die Plätze aussuchen. Uns ist klar, dass das bei diesem Ziel nicht so bleiben wird. Aber auf diese Fülle sind wir dann doch nicht vorbereitet. Eine Viertelstunde später sind alle Zweiersitze von drei Menschen besetzt. Weitere drängen sich im Mittelgang. Wenn jemand vorbei will, steht meine Sitznachbarin auf und lässt sich völlig selbstverständlich auf meiner Hüfte nieder.
Auf halber Strecke ist in Salajá eine Art Verkehrsknotenpunkt. Mindestens 10 Chickenbusse treffen hier von allen Seiten ein und die Menschen wuseln hin und her. Raus aus dem einen, rein in den anderen Bus, dazwischen Lastwagen, Transporter, Pkw und Mopeds. Es ist ein unglaubliches Gedränge und Gehupe. Fährt einer der Busse endlich los, stößt er erstmal eine tiefschwarze Wolke aus, das grenzt schon an Grobstaubbelastung. Plötzlicht stoppt er dann wieder um weitere Passagiere aufzunehmen. Das passiert dann drei bis viermal. Für uns absolut undurchsichtig.
In der Nähe ist das erste Waisenhaus der Rudolf Walther Stiftung (Möbel-Walther aus Gründau-Lieblos) gebaut worden. Es ist das Zuhause für 140 Kinder. Nicht alle sind Waisen, manche wurden von ihren Eltern hier abgegeben, weil sie sie nicht ernähren können, andere wurden auf der Straße aufgegriffen.
In Guatemala ist Busschaffner einer der anspruchsvollsten Berufe. Die Männer müssen mindestes eine Artisten-Ausbildung haben. Kurz vor der Haltestelle springen sie aus dem fahrenden Bus und suchen nach weiteren Fahrgästen. Hat jemand sperriges Gepäck dabei, klettern sie flink wie Eichhörnchen die hintere Leiter hoch aufs Dach und nehmen die Sachen entgegen. Während der Bus bereits wieder losfährt, verstauen sie alles und zurren die Kästen oder Säcke fest. In voller Fahrt geht es die Leiter wieder hinunter und durch die hintere Tür zurück in den Bus. Und dann wissen sie auch noch, wer bereits bezahlt hat und wer neu dazu gekommen ist.
Endlich erreichen wir San Francisco – schön wieder durchatmen zu können, bevor wir uns ins bunte Markttreiben stürzen. Der wöchentliche Markt findet nicht nur in der Markthalle oder auf dem Marktplatz statt, der ganze Ort ist Markt. Von nah und fern kommen die Verkäufer mit ihrem Warenangebot bereits in den Nachtstunden, denn der Verkauf beginnt bereits morgens um sieben Uhr.

Wir stehen mitten in einem Farbenmeer: Stoffe, gewebt in den typischen Mustern, die die Maya-Frauen Tag für Tag tragen. Ständig entdecken wir neue Farbkombinationen und Muster. Mein Kaufimpuls muss heftig unterdrückt werden. Und irgendwann weiß ich auch gar nicht mehr, was ich eigentlich aussuchen sollte. Zu überwältigend ist das Angebot. Da der Ort auf einem Hügel liegt, geht es immer wieder bergauf und bergab.

Vanessa hat von ihrer Gastfamilie von einem Platz gehört, der für die Maya von besonderer Bedeutung ist. Sie fragt sich durch und schließlich stehen wir an einem Abhang. Unter dem größten Baum glimmen noch kleine Feuer, ein würziger Geruch liegt in der Luft und kleine Papierfetzen bewegen sich im Wind. Ein paar Menschen sind noch hier, aber die große Opferzeremonie hat vermutlich am frühen Morgen stattgefunden und das Saubermachen hat bereits begonnen. Wofür jeweils geopfert wurde, und was man sich davon erhofft, bleibt das Geheimnis jedes Einzelnen.
Wir laufen zurück, nicht ohne am beliebtesten Stand halt zu machen, dem Toilettenhäuschen. Die Besitzer haben es gut, sie müssen keine Kunden anlocken, die kommen alle freiwillig und warten sogar, wenn sie nicht gleich an die Reihe kommen. Für ein paar Quetzales kann man sich noch die Hände waschen, was will man mehr.

Inzwischen hat das Gedränge in den Gassen noch weiter zugenommen. Zwischen Ständen mit moderner Kleidung, Schuhen, Heiligenfiguren und Lebensmitteln drängen wir weiter nach oben in Richtung Viehmarkt.

Auf dem großen Platz stehen Kälber, Schweine, Federvieh, Kaninchen und Haustiere zum Verkauf. Die Interessenten schlendern herum, begutachten, befühlen, dann gehen ein paar Scheine von Hand zu Hand und das neue Haustier wird in einem Sack geschultert oder am Seil hinterhergezogen. Hier sehen wir das erste Mal noch andere Touristen, aber wir machen zusammen kaum ein Dutzend aus.

Auf dem Weg zurück staunen wir über das Angebot an Nähmaschinen. Alte mechanische stehen neben robusten Profigeräten. Kochtöpfe, Elektrokabel, Werkzeug, Radios, Garten- und Haushaltsgeräte – alles neu oder gebraucht. Natürlich gibt es auch Imbissstände, es wird gerührt, geknetet, geraspelt, frittiert und gebacken und duftet köstlich. In der Markthalle probieren wir eine der hiesigen Spezialitäten: knusprige gerollte Maisfladen auf rohem Gemüse, mit würziger Soße übergossen und mit Käse bestreut. Richtig lecker.
Gegen Mittag beginnen die ersten Aussteller, ihre Sachen zusammen zu packen. Dabei können wir beobachten, wie die Träger die riesigen Ballen und Säcke an um die Stirn gelegten Riemen zu den unten geparkten Autos schleppen. Von hinten sieht man nur einen Sack auf Füßen. Alles was nicht verkauft wurde, muss schließlich wieder zurück transportiert werden.

Wir klettern in den nächsten Bus, damit wir vor Marktschluss noch einigermaßen gut zurück kommen. Trotzdem geht es quälend langsam voran. Vom Bus aus sehen wir viele Läden mit riesigen Stoffballen. Hier ist das Zentrum der Textilindustrie in Guatemala, deshalb auch die vielen Nähmaschinen.
Am nächsten Morgen fahren wir zurück nach Antigua. Wir haben Glück und werden von dem netten Fahrer mit dem bequemen Minivan abgeholt. An der Abzweigung zum Lago Atitlán steigen die anderen Passagiere aus, wir sind die einzigen die nach Antigua fahren. Der Fahrer spricht gut englisch, so können wir uns über alles Mögliche mit ihm unterhalten. Mich hat die ganze Zeit der hohe Benzinpreis von 20 – 26 Quetzales (2,33 – 3,03 €) gewundert, doch der Preis gilt für eine Gallone (3,785 Liter).
Gut, dass ich auf dem Markt außer einem gewebten Gürtel nichts gekauft habe, der Koffer will kaum noch zugehen. Meine Vorstellung, ein Paket per Post nach Deutschland zu schicken, lässt sich nicht in die Tat umsetzen. Guatemala hat seit über 3 Jahren keine Post mehr. Den jährlichen Versprechungen, dass es in Kürze wieder eine gibt, schenkt niemand mehr Glauben. Zwar sind DHL und FedExx vertreten, aber die Preise sind extrem hoch. Angeblich kostet das Porto für einen einfachen Brief 20 US$. Kein Wunder, dass es nirgendwo Ansichtskarten zu kaufen gibt.
Als wir an einer Raststätte eine kurze Pause machen, stehen dort viele Radfahrer in Sporttrickots. Heute findet ein Straßenrennen statt, an dem Männer und Frauen teilnehmen. Sogar der führende Rennstall, der auch internationale Erfolge aufweisen kann, ist vertreten. Das Rennen wird auf dem Standstreifen der hier vierspurigen  Panamerican ausgetragen, der Autoverkehr darf schließlich nicht beeinträchtigt werden.
In Antigua ist was los, so viele Menschen haben wir in der Stadt noch nicht gesehen, aber für die Semana Santa (heilige Woche) ist das hier völlig normal. Wir wohnen keine 100 Meter von der Kathedrale „La Merced“ entfernt und wollen uns hier gleich mal umschauen. Rund um die Kirche reihen sich Buden aneinander. Auch hier wird deutlich: Gegessen wird immer. Gerade kommt eine festlich gekleidete Familie mit 15jähriger Tochter aus der Kirche. Die Quincenera wird also auch hier mit aller Pracht gefeiert. Ein Blick in die Kirche zeigt: Die Alfombra (Sägemehlteppich) mit den Fußspuren ist inzwischen durch eine neue unversehrte ersetzt worden.

Am Sonntag um 11 Uhr beginnt die zweit wichtigste Prozession der Osterwoche. Von überall her strömen Besucher in die Stadt. Viele Straßen sind bereits gesperrt. Autos, die trotz Verbotsschildern in diesem Bereich parken, werden gnadenlos abgeschleppt. Wir laufen zu einer Straße, wo der Umzug in der nächsten Stunde vorbeikommen soll.

Eifrig wird hier noch an einer Alfombra gearbeitet, es kann also noch dauern. Zunächst gehört die Straße den Verkäufern. Eis, Leihhocker, Sonnenschirme, Sombreros, Getränke, Spielzeug, Sonnenbrillen, Fächer, eben alles was den Menschen die Wartezeit angenehmer macht, ist zu haben. Lila Kutten für Männer und schwarze Spitzenschals für Frauen werden auch noch verkauft, falls sich jemand jetzt noch entschließen sollte, während der Prozession eine aktive Trägerrolle einzunehmen.
Nach einer Stunde geben wir auf, es wird in der Sonne einfach zu warm. Nachmittags gibt es eine neue Chance. Die Frau neben uns gibt uns ihren Programmzettel. Jetzt wissen wir, zu welcher Zeit die Prozession in welcher Straße sein wird und stellen uns nachmittags noch einmal an.

Schon bald hören wir Trommeln und Blasinstrumente. Zu sehen ist außer einer dichten Qualmwolke nichts. Jetzt holen die erfahrenen Besucher ihre Atemschutzmasken heraus, denn die vielen qualmenden Weihrauchkessel bringen die Zuschauer zum weinen und zum husten. Angeführt wird die Prozession von Männern im Römerkostüm. Es folgen Träger mit den nummerierten Bildtafeln der Kreuzigungsstationen. Männer in lila Gewändern laufen jetzt links und rechts der Straße mit einem langen Seil in Händen, damit trennen sie den Umzug von den Zuschauern. Denn jetzt kommen die dicht hintereinander laufenden Männer in ihren lila Kutten mit dem größten der tonnenschweren Gestelle auf ihren Schultern. Die geschnitzte hölzerne Plattform mit ihren Aufbauten – mittig Jesus mit dem Kreuz – schwankt wie ein Schiff durch die Straße. Lange hält diese Anstrengung niemand aus, deshalb wird ständig während des Laufens gewechselt. Die Plattform mit Maria wird dagegen von Frauen getragen. Hinter den Figuren folgt jeweils eine Musikkapelle. Dazwischen jeweils drei Mayas in Tracht mit Flöte und Trommeln. Am Ende der Prozession folgen mehrere Müllwagen und kehren die zertretenen Alfombras und alles was sonst noch rumliegt auf. Dahinter sieht es aus, als sei nie etwas gewesen.
Bis nachts um 2 Uhr dauert dieser Umzug. Schön, dass wir das miterleben konnten, denn morgen verlassen wir Guatemala, dieses wunderschöne Land, das so viel zu bieten hat.